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Berlin: „In diesem Job ist man Freiwild“

Busfahrer fühlen sich auf verlorenem Posten Beleidigungen und Gewalt gehören zum Alltag

Die Stimmung ist schlecht unter den BVG-Busfahrern, die am Montagnachmittag Pause machen am Bahnhof Zoo – und das liegt nicht allein am düsteren Regenwetter. „Bescheiden“ ist noch die positivste Formulierung, mit der ein 59-Jähriger bei einer spontanen Umfrage die Gemütslage seiner Kollegen angesichts der anhaltenden Serie von Gewalt gegen Busfahrer umschreibt. Viele, so sagt er, hätten durchaus Angst, wenn sie morgens zu Schichtbeginn den Zündschlüssel umdrehen. In der Kantine, bei Gesprächen zwischendurch – die Vorfälle sind immer ein Thema.

Richtig verletzt werden wenige, aber so weit muss es ja gar nicht kommen. „Auch verbale Gewalt ist Gewalt“, sagt einer. Das fängt mit Beleidigungen an und hört bei Anspucken und Werfen mit Essensresten noch lange nicht auf. 80 Prozent der Fahrgäste seien freundlich, aber die wenigen anderen würden richtig Stress machen, vor allem während der Fahrscheinkontrolle beim Einstieg. Die meisten Gewalttäter, so der subjektive Eindruck der Fahrer, sind Jugendliche mit Migrationshintergrund, die zudem immer jünger würden. Aber auch anderen Fahrgäste würden immer aggressiver. „Bitte und Danke sind Fremdworte geworden“, so ein Fahrer, „eine Frau dachte einmal, ich wollte sie persönlich schädigen, weil sie eine halbe Stunde warten musste. Dabei war ich pünktlich gekommen, wahrscheinlich war der Bus zuvor ausgefallen.“ Die Frau hat sich bei der BVG beschwert, der Fahrer musste eine Stellungnahme abgeben. „In diesem Job ist man Freiwild“, sagt er.

Das war früher anders. „Ein Fahrer war eine Respektsperson. Diese Achtung ist vollkommen verschwunden, die Fahrgäste wissen auch gar nicht mehr, dass es so etwas wie Beförderungsbestimmungen gibt, also Rechte und Pflichten“, so der 59-Jährige. Er fährt seit 1973, bald geht er in Pension. Dann muss er nicht mehr mit ansehen, wie Jugendliche die Scheiben im Oberdeck zerkratzen, weil sie denken, sie würden nicht erwischt. Die Gewalt, so der Tenor unter den Fahrern, sei in den letzten fünf Jahren um 100 Prozent schlimmer geworden.

Über die Gründe spekulieren sie auch. Die Polizei sei zu lasch, weil sie immer mehr ausgedünnt werde, sagt einer. Eltern und Erziehung seien schuld, so ein anderer. Ein 44-Jähriger mit mächtigem Brustkorb vermutet, dass die Mittelschicht immer kleiner wird und die Betroffenen ihre Frustration an den Fahrern auslassen. Er selbst könne dank seiner körperlichen Präsenz die Leute auf Abstand halten. Andere Kollegen würden aber von Gewaltausbrüchen häufig vollkommen überrascht. Auch die BVG-Schulungen würden nicht ausreichen, sagt ein anderer.

Nicht immer haben die Fahrer das Gefühl, dass die BVG wirklich hinter ihnen steht. „Musste das denn sein?“, heißt es mitunter, wenn wieder was passiert ist. Ans Aufhören denken aber, wenn überhaupt, nur die Jüngeren, die um ein Drittel weniger verdienen und auf dem Arbeitsmarkt vielleicht noch eine Chance hätten. „Bei uns Älteren ist es doch letztlich egal, wie wir sterben“, sagt der 59-Jährige mit Galgenhumor. Dann geht er wieder in seinen Bus. Schließlich regnet es. Udo Badelt

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