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Sprungbrett für die Uni-Karriere. Linda Förster (l.) von „Arbeiterkind“ gibt gern Tipps weiter – auch an Studentin Jenny Pötzsche.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Unikate für die Uni: Initiative Arbeiterkind hilft beim Start ins Studium

Wenn Kinder in Arbeiterfamilien aufwachsen, haben sie es schwer, eine Studienlaufbahn zu beginnen. Bei der Initiative „Arbeiterkind“ helfen ihnen Mentoren dabei, Stipendien zu finden und den Alltag zu meistern. So funktioniert das Engagement von Studenten für Studenten

Als Jenny Pötzsche zum ersten Mal ihren Stundenplan gesehen hat, war sie überfordert. So viele Vorlesungen und Seminare, wie ist das alles nur zu schaffen? Nebenher dann noch arbeiten? Und überhaupt mal ein bisschen leben? Jenny Pötzsche studiert an der Freien Universität (FU) Berlin, Englisch und Deutsch auf Lehramt. Einfach ist der Studienbeginn für die 24-Jährige nicht gewesen. Sie stammt aus einer Arbeiterfamilie und war die Erste, die ein Studium aufgenommen hat.

Studierende und Studieninteressierte wie Jenny gibt es viele in Berlin. Meist fehlt ihnen ein Ansprechpartner, ein Mentor, jemand, den sie mit ihren Fragen löchern können, der ihnen auch aus Erfahrung mit Tipps zur Seite steht.

Die Initiative „Arbeiterkind“ bietet Studierenden wie Jenny Pötzsche Hilfe bei allen Fragen rund ums Studium an. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Schüler und Studierende, die Arbeiterkinder sind, deren Eltern nicht selbst studiert haben, zum Studium zu ermutigen, zu unterstützen und zu begleiten“, sagt Linda Förster, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei Arbeiterkind. „Wir wollen einfach, dass Bildung unabhängig vom Hintergrund ist und jeder den Weg einschlagen kann, der ihn am glücklichsten macht“, sagt die 23-Jährige.

Denn die Realität sieht immer noch anders aus. Laut dem 19. Sozialbericht des Deutschen Studentenwerks nehmen deutschlandweit nur 24 von 100 Kindern aus Familien ohne akademische Tradition ein Studium auf, bei Akademikerkindern sind es statistisch 71 von 100, die den Hochschulzugang schaffen.

Jenny Pötzsche wurde im vergangenen Sommer beim Tag der offenen Tür an der Freien Universität (FU) über einen Infostand auf Arbeiterkind aufmerksam. „Alle waren wirklich sehr nett und haben mich zum nächsten Stammtisch eingeladen“, sagt die Leipzigerin. Da wurde sie dann mit ihrer Mentorin Franziska Kappler zusammengebracht. Kappler ist 27 Jahre alt, studiert Mathematik und kommt aus einer Akademiker-Familie. „Franzi ist echt ein Geschenk“, sagt Jenny Pötzsche. „Wir haben gemeinsam erst mal meinen Stundenplan überarbeitet und gekürzt. Allein, dass ich nicht mehr jeden Tag von 8 bis 18 Uhr zur Uni musste, war sehr entlastend.“

Die Initiative Arbeiterkind hilft Studierenden wie ihr seit 2008. Gegründet wurde sie von Katja Urbatsch in Gießen. Das Bildungsministerium fördert die Initiative. Deutschlandweit gibt es 70 Ortsgruppen, in jeder größeren Stadt mit einer Universität. In der Berliner Ortsgruppe sind derzeit 379 Mentoren und Mentees angemeldet. Bundesweit sind es bereits 5000 Mitglieder. Bei Arbeiterkind melden sich aber nicht nur Schüler und Studenten aus Arbeiterfamilien, auch alle anderen Studierenden können dort Hilfe bekommen. „Oft rufen auch die Eltern an, manchmal sogar die Großeltern“, sagt Linda Förster, selbst Studentin der Public History an der FU.

Es gibt aber auch Fälle, in denen der Kontakt zur Familie abgebrochen werden musste, weil sie nicht mit dem Studium einverstanden sind. Das Kind könne doch auch gleich Geld verdienen. Oft trete auch immer wieder die Frage auf, warum das eigene Kind einen ganz anderen Weg einschlage als die Eltern weiß Linda Förster. „Es gibt Eltern, die der Meinung sind, mir hat es doch auch nicht geschadet, also sollte mein Kind den gleichen Weg gehen.“

Die meisten Fragen, die bei Arbeiterkind gestellt werden, drehen sich ums Geld. „Die Finanzierung eines Studiums ist für viele Familien nicht so einfach“, weiß Förster, die selbst aus einer Arbeiterfamilie stammt. Deshalb raten manche Eltern ihren Kindern von einem Studium ab, weil viel Geld investiert werde müsse, anders als bei einer Ausbildung.

Auch Pötzsche machte zuerst eine Ausbildung zur Schauspielerin, die Kenntnisse will sie später als Lehrerin nutzen. „Meine Eltern waren dem Studium gegenüber sehr skeptisch. Immer wieder haben sie gefragt, wann ich denn endlich fertig sein will und richtiges Geld verdienen werde.“ Trotzdem setzte sie sich mit ihren Vorstellungen und Wünschen durch. Um ihr Studium zu finanzieren, bewarb sich Jenny Pötzsche auch um ein Stipendium. Die Arbeiterkind-Ehrenamtliche unterstützte sie dabei, half beim Motivationsschreiben, bereitete sie auf die Auswahltagungen vor. „Wir ermutigen die Studierenden immer wieder, Stipendien zu beantragen. Viele denken, sie hätten bei den hohen Anforderungen keine Möglichkeit, auch nur in die nächste Auswahlrunde zu kommen – so ist das aber nicht“, erzählt Förster. Pötzsche ist eine Runde weiter für ein Stipendium bei der Hans-Böckler-Stiftung und hofft, dass es beim zweiten Versuch klappt.

Auch die FU und die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) bieten Mentoren-Programme für ihre Studierenden an. Auf der Homepage der FU sollen Studenten ab diesem Wintersemester einen Selbsteinstufungstest machen können, mit dem ihnen die Wahl des Studienfaches erleichtert werden soll. Studierende aus höheren Semestern betreuen in Vorbereitungskursen die Erstsemester und begleiten sie beim Start ins Studium. An der HU wird speziell für Frauen, die als Erste ins der Familie studieren, ein Mentoren-Programm angeboten.

Alles Infos im Internet unter www.arbeiterkind.de. Das Infotelefon (die.-fr. 14 bis 19.30 Uhr) lautet 030-679 672 750.

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