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Ein leerer Prüfungssaal. Die MSA-Prüfungen könnten auch in diesem Jahr wieder ausfallen.

© picture alliance/dpa/Carsten Rehder

Update

Interessenvertretung mit neuem Kompromissvorschlag: Mehrheit der Berliner Sekundarschulleiter für MSA-Prüfungen

Die rot-grün-roten Fraktionen wollen die Prüfungen streichen, die Schulleitungen nicht. So könnte der Mittelweg aussehen.

Eine große Mehrheit der Berliner Sekundarschulleitungen hat sich in einer Umfrage ihrer Interessenvertretung (BISSS) dafür ausgesprochen, die zentralen Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) nicht abzusagen. Das teilte der Vorsitzende Sven Zimmerschied am Wochenende mit und verwies dabei auf die aktuellen Forderungen aus den rot-grün-roten Fraktionen, die Prüfungen wegen der Corona-Belastungen ersatzlos zu streichen.

Als Kompromiss schlägt die Interessenvertretung vor, die Bedingungen zu erleichtern und zwar durch einen "Pandemieausgleich". Zudem sei "denkbar", die – oftmals besseren – Jahrgangsnoten mit den Prüfungsnoten zu verrechnen. Das könne „den psychologischen Druck, den Prüfungen bei einigen Schüler:innen erzeugen, stark verringern“. Die Entscheidung soll in dieser Woche fallen. Von den Leitungen haben sich 85 Prozent für die schriftlichen Prüfungen in Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache ausgesprochen. 45 von 53 lehnen es ab, dass Berlin die Prüfungen streicht. Viele Leitungen hätten dabei auf die Einschätzungen ihrer Lehrkräfte, die in zehnten Klassen unterrichten, verwiesen.

Die Prüfungsbefürworter argumentieren damit, dass die Schulen das ganze bisherige Schuljahr offen waren: „Es wurde alles getan, um auf die Prüfungen vorzubereiten. Die Schüler:innen sind motiviert“, heißt es in der BISSS-Mitteilung. Hingegen werde eine Aussetzung nach den bisherigen Erfahrungen bei einer Reihe von Schülerinnen und Schülern zu einem „Aussteigen“ aus dem Lernprozess führen.

Das wiederum trage indirekt zur Vertiefung des sozialen Einflusses auf die Bildungschancen für die Jugendlichen bei. Zudem fehle den betroffenen rund 30.000 Zehntklässlern ein Korrektiv, um ihre Leistungen realistisch einschätzen zu können: „Jugendliche sollen auch stolz sein dürfen auf Leistungen, die sie erreicht haben.“ Die Schulleiter verweisen zudem auf das Problem, dass die Hürde für den Übergang in die gymnasiale Oberstufe zu niedrig hängt, wenn die Prüfungen entfallen.

In den vergangenen beiden Jahren seien durch den zweimaligen Wegfall der Prüfungen Jugendliche in die Oberstufe gekommen, „die dort jetzt mit Überforderung zu kämpfen haben“.

Ursprünglich sollten die Prüfungen erleichtert werden und stattfinden

Ursprünglich war geplant, die MSA-Prüfungen durchzuziehen, aber ähnlich wie die Abiturprüfungen wegen Corona zu erleichtern. Daher wurde die mündliche Prüfung in der Fremdsprache – eine der vier MSA-Prüfungen – bereits abgesagt sowie die anderen Prüfungen durch Abstriche bei den Themen entschlackt.

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Diskutiert wurde auch, mehr Zeit für die Prüfungen zu geben. Der Landeseltern- und Landesschülerausschuss forderten jedoch inzwischen, auch die drei Klausuren abzusagen und nur die Präsentationsprüfung beizubehalten. Die bildungspolitischen Sprecher der Koalition, Marcel Hopp (SPD), Marianne Burkert-Eulitz (Grüne) sowie Franziska Brychcy (Linke) schlossen sich dem an.

Brychcy hält auch einen anderweitigen „Nachteilsausgleich“ für möglich, wobei noch offen war, worin der bestehen könnte. Ob der von den Sekundarschulen genannte Vorschlag einer Verrechnung von Jahrgangs- und Prüfungsnoten mehrheitsfähig wäre, war am Wochenende noch unklar.

Die Schulleitungen ernten Widerspruch

Landeselternsprecher Norman Heise widersprach am Sonntag gegenüber dem Tagesspiegel aber der BISSS-Darstellung, wonach die Ferienschulen sowie das Programm "Stark trotz Corona“ es ermöglicht hätten, Defizite wieder aufzuholen. Diese Maßnahmen hätten nur einen Bruchteil der Schülerinnen und Schüler erreicht, erinnerte Heise an die geringen Teilnehmerzahlen. SPD-Bildungspolitiker Marcel Hopp nannte es auf Anfrage sogar "naiv" zu glauben, dass durch das Programm „Stark trotz Corona“ die entstandenen Defizite vollständig oder überwiegend aufgeholt worden seien.

Hopp.ging auch auf das BISSS-Argument ein, dass die Schulen in diesem Schuljahr offen gewesen seien. Das stimme zwar, aber gleichzeitig sei das Lernen und der Unterricht unter anderem durch wiederholende Quarantänisierungen in seiner Qualität und Kontinuität mitunter stark eingeschränkt gewesen: "Dieses Schuljahr bleibt ein Ausnahmejahr und ist eben keines, das unter 'normalen' Bedingungen stattgefunden hat", betont der Abgeordnete.

Darüber hinaus prüfe der MSA nicht nur Kompetenzen und Lernstoff der 10. Klasse ab, sondern auch die der vorangegangen Klassenstufen, die wiederum sehr wohl von geschlossenen Schulen sowie Wechsel- und Distanzunterricht betroffen gewesen seien. Hinzu komme, dass die Auswirkungen von Corona auf Lernstand und Psyche "grundsätzlich eine politische, gesellschaftliche und pädagogische Mammutaufgabe darstellen". Diese Probleme und Herausforderungen solle man "nicht kleinreden".

Im übrigen sei er sicher, so Hopp weiter, dass die Senatsbildungsverwaltung sämtliche Argumente und Perspektiven in dieser Frage einfließen lassen "und uns demnächst einen Vorschlag unterbreiten wird". Dem Vernehmen nach ist es in den kommenden Tagen soweit.

An den Gymnasien herrscht eine andere Ausgangslage

Ebenso wie die Sekundarschulleitungen hatte sich die Vereinigung der Berufsschulleitungen für die Beibehaltung der MSA-Prüfungen in diesem Jahr ausgesprochen. Eine andere Ausgangslage besteht hingegen an den Gymnasien: Sie kämpfen seit zwölf Jahren darum, keine MSA-Prüfungen schreiben zu müssen, weil ihre Schülerschaft in Klasse 10 mit dem Stoff weiter ist als an den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen üblich. Sie müssen im Stoff quasi zurückgehen und verlieren somit durch den MSA Zeit, die sich eigentlich brauchen, um den Schulstoff in zwölf statt 13 Jahren durchzunehmen, argumentieren die Schulleitungen.

Dass Berlins Gymnasiasten die MSA-Prüfungen in dieser Form ablegen müssen, ist eine bundesweite Ausnahme. Der Landeselternausschuss ist in dieser Frage seit Jahren auf einer Linie mit den Gymnasien. Die rot-grün-rote Koalition will die Prüfungen aber grundsätzlich auch an den Gymnasien beibehalten - so wie die Vorgängerkoalition. Insofern hat die Corona-Lage für die Gymnasien eine paradoxe Ausnahmesituation geschaffen: Ihnen werden die Prüfungen erlassen, die sie sowieso nicht wollen.

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