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Harald Wolf ist seit 2002 Frauen- und Wirtschaftssenator in Berlin. Der 53-jährige Linkspolitiker gilt als einer der führenden Parteistrategen.

© Mike Wolff

Interview mit Harald Wolf: "Die Linke wird Rot-Grün nicht tolerieren"

"Wir streben das Bündnis an, mit dem die meisten linken Inhalte umgesetzt werden können." Der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf über mögliche Koalitionen nach der Abgeordnetenhauswahl und die Regierungsfähigkeit seiner Partei.

Herr Wolf, ein Jahr vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus geht Klaus Wowereit auf Distanz zur Linken. Irritiert Sie das?

Ach was, es ist doch nicht neu, dass er als stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD die Sprachregelung der Bundes-SPD über eine angebliche Regierungsunfähigkeit der Linken im Bund wiederholt. Gleichzeitig erklärt er, dass unsere Berliner Koalition gut funktioniert.

Wowereit sagt, auch Rot-Grün in Berlin ist denkbar. Stört Sie das nicht nach fast zehn Jahren Mitregieren?

Das ist ebenfalls nichts Neues. Auch im Wahlkampf 2006 hat die SPD sich die Option mit den Grünen offengehalten. Und wir haben mit der SPD keine Koalition auf Lebenszeit geschlossen. Wir werden den Wahlkampf nicht um Farbenspiele, sondern um Inhalte führen.

Werden Sie wieder Spitzenkandidat?

Über unsere inhaltliche und personelle Aufstellung werden wir Ende dieses, Anfang des nächsten Jahres entscheiden.

Es gibt noch aktuelle Konflikte wie bei der Verlängerung der A 100. Die SPD will sie, die linke Basis nicht, Sie als Wirtschaftssenator schon. Lassen Sie es auf einen Koalitionskrach ankommen?

Die A 100 steht im Koalitionsvertrag. Die SPD hat sich einmal dagegen, einmal dafür ausgesprochen. Meine Partei hat den SPD-Beschluss gegen die A 100 zum Anlass genommen, dieses von uns immer kritisch gesehene Projekt mit dem Koalitionspartner neu zu diskutieren. Da wird dann auch über das vom letzten SPD-Parteitag beschlossene umfangreichere Verkehrskonzept zu reden sein. Das letzte Wort über die A 100 wird in den Koalitionsverhandlungen 2011 gesprochen.

Was waren für Sie entscheidende Projekte von Rot-Rot in dieser Legislaturperiode?

Wir haben eine extrem wichtige Schulreform auf den Weg gebracht. Die Pilotprojekte zur Gemeinschaftsschule sind erfolgreich gestartet. Rot-Rot hat den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor initiiert, der auch in Brandenburg eingerichtet wird. Wir haben ein Vergabegesetz verabschiedet, das eine Mindestentlohnung von 7,50 Euro und ökologische Kriterien vorschreibt. Damit haben wir bundesweit Maßstäbe gesetzt. Der Masterplan Industrie wurde verabschiedet. Die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft wurde verbessert, um Wachstum und Beschäftigung zu generieren. Sie sollen enger kooperieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Und längst vergessen: Die Sanierung der Bankgesellschaft Berlin wurde mit dem Verkauf an den Sparkassen- und Giroverband erfolgreich abgeschlossen. Ein Erfolgsindikator ist die Tatsache, dass Berlin von 2005 bis 2009 ein höheres Wachstum als im Bund hatte: 8,8 Prozent gegenüber 2,5 Prozent.

Trotzdem ist die Arbeitslosenquote in Berlin hoch.

Es wurden 100 000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Dass Berlin trotzdem noch eine hohe Arbeitslosenquote hat, hat zwei Ursachen: Die Zahl der Menschen, die täglich nach Berlin zur Arbeit pendeln, übersteigt um mehr als 100 000 die Zahl der Pendler, die ihren Arbeitsplatz außerhalb Berlins haben. Und anders als in anderen ostdeutschen Bundesländern ist die erwerbsfähige Bevölkerung gewachsen. Wir brauchen also weiter überdurchschnittliches Wachstum gegenüber dem Bundesdurchschnitt, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Und wir bräuchten weitere Stellen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor.

Streben Sie in Berlin weiter Rot-Rot an?

Wir streben das Bündnis an, mit dem die meisten linken Inhalte umgesetzt werden können. Wahlarithmetisch ist vieles vorstellbar: Rot-Rot, Rot-Grün, Rot-Rot- Grün – auch eine Konstellation, in der Linke und Grüne eine Mehrheit stellen können, ist nicht undenkbar. Aber all diese Spekulationen sind derzeit müßig.

Würde die Linke Rot-Grün tolerieren?

Die Linke wird Rot-Grün nicht tolerieren. Warum sollten wir das tun? Wir haben zehn Jahre Regierungsverantwortung getragen. Wir sind keine Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün. 2001 haben wir Rot-Grün übergangsweise toleriert, um Neuwahlen zu ermöglichen. Die heutige Situation ist gänzlich anders.

Die Linke verhält sich abwartend. Nach der fragwürdigen Performance der Linken bei der Wahl des Bundespräsidenten …

Was war, bitteschön, fragwürdig dran?

... Sie haben gezeigt, dass sie nicht regierungsfähig sind.

Diesen Beweis müssen wir nicht mehr antreten. Wir regieren in Berlin seit fast zehn Jahren. Regierungsfähigkeit beweist sich doch nicht an der Frage: Bist du für oder gegen Gauck! Warum soll ich jemanden wählen, der außer in einigen Fragen der Demokratie und Bürgerrechten konträre Positionen zur Linken vertritt? Das wäre ein Beweis dafür, dass die Linke ihre Sinne verloren hätte.

Das wäre ein Beweis dafür gewesen, dass die Linke taktisch agieren kann.

Wenn man durch Taktiererei ein Ergebnis befördert, das den eigenen politischen Zielen entgegensteht, hat man sich nicht taktisch verhalten, sondern dumm.

In Nordrhein-Westfalen aber hat sich gezeigt, dass ihre Partei nicht regierungsfähig ist.

Die NRW-Linke ist regierungsfähig. SPD und Grüne wollten doch nicht. Die Linke hat ermöglicht, dass sich Rot-Grün als Minderheitsregierung etabliert. Sie hat gesagt, dass sie die Abschaffung der Studiengebühren mit trägt. Und sie hat deutlich gemacht, dass sie nicht die rot-grüne Ersatzreserve ist, aber gesprächsbereit, um parlamentarische Mehrheiten für gemeinsame politische Ziele mit SPD und Grünen herzustellen. Ich finde das ein Zeugnis erstaunlicher politischer Reife, für eine so junge Partei, wie es die NRW-Linken sind.

Ist die Linke noch antikapitalistisch?

Wir wollen das gegenwärtige allein am Profit orientierte Wirtschaften durchbrechen. Wir wollen die Finanzmärkte besser regulieren. Die Linke hat als Erste ein Konjunkturprogramm gefordert.

Aber die Linke hat trotzdem wenig Zustimmung aus der Finanzkrise geschlagen.

Das stimmt nicht. Wir haben Vorschläge gemacht. Es gibt in Sachen Regulierung keinen Fortschritt außer dem Verbot der ungedeckten Leerverkäufe. Denn gerade erst ein halbes Jahr zuvor hatte Schwarz-Gelb dieses Verbot aufgehoben, um es jetzt wieder in Kraft zu setzen. Das Bankenproblem ist auch nicht gelöst.

Während der Debatte über die Agenda 2010 war die Linke im größeren Aufwind.

Die Linke war aktiv gegen Hartz IV. Das ging einher mit dem Erosionsprozess in der SPD. Die PDS und Die WASG hatten erkannt, dass daraus ein Nährboden für ein großes gemeinsames Projekt, nämlich die Linke als Partei, entstanden ist. Damit können Sie die aktuelle Situation nicht vergleichen. Die Finanzkrise ist für das Gros der Menschen noch etwas Abstraktes.

Der Finanzsenator hat angekündigt, bei den Investitionen zu kürzen. Werden Sie das mitmachen?

Wenn er damit meint, dass mit Auslaufen des Konjunkturprogramms der Investitionshaushalt wieder auf „Normalniveau“ sinkt – einverstanden. Falsch wäre es, im Investitionshaushalt weiter zu kürzen und über diesen Haushalt den Konsolidierungsbedarf zu decken. Wir haben einen Nachholbedarf an Investitionen, etwa bei der Infrastruktur, bei Schulen wie bei Straßen, bei Krankenhäusern. Und öffentliche Investitionen bedeuten auch immer Beschäftigung und Einkommen.

Auch in Brandenburg gibt es jetzt eine rot-rote Regierung. Da könnte man doch etwas zusammen machen.

Das machen wir auch. Vor zwei Wochen haben wir zum Beispiel das gemeinsame Clustermanagement „Gesundheit“ vorgestellt. Wir wollen das Berliner und das Brandenburger Vergabegesetz abstimmen, um einheitliche Standards zu haben. Wir wollen Ende des Jahres eine gemeinsame Innovationsstrategie verabschieden.

Empfinden Sie nach acht Jahren als Wirtschaftssenator Amtsmüdigkeit?

Nein, ich bin nicht amtsmüde, sondern will noch einiges bewegen. Wir haben ein Industriekonzept, das mit Leben zu füllen ist. Das Thema E-Mobilität ist ein wichtiges Zukunftsthema. Ich will, dass Berlin wieder mehr Einfluss auf die Energienetze bekommt, um eine ökologisch nachhaltige und dezentrale Energieversorgungsinfrastruktur aufzubauen. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern bringt auch neue Arbeitsplätze.

Das Gespräch führten Sabine Beikler und Werner van Bebber.

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