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Berlin: ITB 2001: Kängurus, Cowboys, Kataloge

Wozu überhaupt noch reisen? Alles schon da unter dem Funkturm.

Wozu überhaupt noch reisen? Alles schon da unter dem Funkturm. Ständig tritt man beim Weg durch die Tourismus-Börse irgendwelchen Riesenkängurus auf den Schwanz, die überdies viel besser deutsch sprechen als ihre australischen Vettern; lebende Golfbälle, so groß, dass selbst ein Anfänger sie nicht verfehlen würde, verteilen Prospekte oder plaudern mit lebensechten Engeln, die Nachthemd und goldene Flügel tragen. Eben hat man noch mit einem echten Tourismuswerber aus Bad Saarow die Perspektiven des südlichen Berliner Umlands diskutiert, einen erschöpften Binnenschiffer fast von seinen meterhohen Stelzen geschubst und gelernt, dass in Bochum der Pott kocht, da findet man sich schon mitten unter authentisch chinesischen Tempeltänzerinnen, deren rituelles Klingklong gerade zu unreligiöser Lautstärke anschwillt. Gegenüber geht eine durchtrainierte Asiatin mit so stoischer Ruhe ihre Tai-Chi-Übungen zum Ruhme Hongkongs durch, als wäre sie taub. Cuba si, Autostadt ja bitte, Semperoper? Aber immer. "Wie auf der Expo", sagt ein Besucher, "bloß die Prospekte sind besser".

Alles schön hier. Vor allem ökologisch unbedenklich. Zwar hängt im Pressezentrum ein Plakat für eine spielverderberische Diskussion mit dem Thema "Erstickt der Urlaub den Urlaub?", aber das soll man nicht so ernst nehmen, solange immer noch überall schöne große Hotels mit zehn Stockwerken und Pool zwischen die Palmen passen. Dass sie das tun, ist auf unzähligen farbenfrohen Fotos eindeutig dokumentiert, und einige Schaustücke liefern zusätzliche Belege. Bei den Kanarischen Inseln sprüht ein Künstler die von ihm geschaffene Sandskulptur - üppige Nackte im Katalograusch - aus einer Plastikflasche an, in Venezuela plätschert viel unverdünntes Wasser aus der Wand, und weite Teile der USA sind mit echten Brettern auf cowboyeske Authentizität getrimmt. "Well, son", brummt ein Marlboro-Mann durch seinen gewaltigen Schnauzbart - Wyatt Earp hätte es nicht besser gekonnt. Überhaupt scheint es, als wolle Amerika die Stadt für seine Abwesenheit auf der Grünen Woche entschädigen; die Halle ist prall gefüllt mit Ständen von den Niederungen der Everglades bis hoch in die Rockies. Dass der ziemlich schlapp herumhängende Grizzly von Steiff kommt, nimmt man als Völker verbindendes Element gern zur Kenntnis.

Kontext:

Die Tagesspiegel-Beilage zur ITB ITB-Gewinnspiel

Und erst Eberhard Diepgen. Locker! Weit über den sumpfigen Niederungen der Berliner Politik scherzt der notorische Fehmarn-Urlauber mit fernöstlichen Würdenträgern, überbrückt Kontinente im Geschwindmarsch und hängt schließlich auch Wirtschaftsminister Müller ab, der schon nach anderthalb Stunden, gerade angekommen im äußersten Zipfel des Messegeländes, Konditionsmängel zeigt. Da hat Diepgen gerade erst begonnen, mit ein paar Jungs in koreanischen Kampfschlafanzügen zu plaudern, die stark nach Berlin-Neukölln klingen und durchaus auch so aussehen.

Doch was ist schon noch echt im globalen Tourismus? Selbst die goldgewandeten Musiker, mit allerhand gestickten Mäandern, Fuchs- und Vogelköpfen ein Inbegriff aztekischer Höchstkultur, verfallen beim Marsch über das Gelände in breites Schwäbeln. Australien? Der Ureinwohner, der sich geduldig knallgelbe Dispersionsfarbe auf die Stirn pinselt, hat was Echtes, und auch das boomende Öl-Arabien scheint ganz bei sich selbst: Leibhaftige Sieben-Sterne-Hotels gibt es dort, dazu Duty-Free-Shops von KaDeWe-Ausmaßen, und die Fluglinie der Emirate hat ein halbes Flugzeug in die Halle gebaut, einschließlich zweier Sitze, die mit Echtholztäfelung und Videoschirmen den Stand der Technik zeigen. Wer da noch zur Thrombose neigt, hat einfach nicht begriffen, dass der Weg das eigentliche Ziel ist.

Wie der Weg über die ITB. Nie waren die Tragetaschen größer, nie die begehrten Prospekte bunter, nie der Drang zur Viertreise drängender. Da kann ein Kassensturz nie schaden, und so bietet ein Versicherungsunternehmen in schöner Konsequenz eine "kostenlose Rentenberechnung", hier und jetzt. Mag sein, dass da mancher karibische Traum schon auf dem Messegelände wieder zerplatzt.

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