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Berlin: „Ja, wir lieben diesen Bus!“

Die Linie 348 verbindet Wilmersdorf und Lichtenberg mit dem Zentrum – nun wird sie gestrichen

Kann man sich in Buslinien verlieben? Doris Harm und ihre Tochter sitzen im 348er und denken noch einmal nach. „Doch – wir lieben diesen Bus!“ Er bringt sie zur Freundin nach Schöneberg, zum Einkaufen an den Potsdamer Platz, aber es geht nicht nur ums banale Fortkommen. „Das ist wie die U 1, eine Reise durch die verschiedenen Kieze. Über den 348er sollte man auch mal ein Theaterstück machen.“ Und zwar schnell. Am 11. Dezember so gegen 20 Uhr macht der 348er seine letzte Tour zwischen der Storkower Straße in Lichtenberg und Breitenbachplatz in Wilmersdorf. Eine der längsten Buslinien der Stadt, eine traditionsreiche Ost-West-Verknüpfung, wird nach elf Jahren eingestellt.

Morgens kurz vor neun, Endhaltestelle Storkower Straße. Hinten beim 156er warten sie und vorne beim 240er. Dazwischen, beim 348er, wartet niemand. Vielleicht, weil der 348er wegen seiner Streckenlänge ein notorischer Zuspätkommer ist. Dann tauchen doch noch zwei Studenten auf. Sie kommen vom Studentenwohnheim an der Storkower Straße und wollen zur Humboldt-Uni. Sie könnten auch die S-Bahn nehmen, aber das wäre umständlicher und gefährdete möglicherweise die Tageslaune. „Busfahren ist entspannender. Man findet immer einen Sitzplatz. Es ist nicht so voll und besser klimatisiert“, sagt Jurastudent André Preuß.

Der 348er scheint ein Bus für Genießer zu sein. Er neigt sich am Bordstein sanft zur Seite, damit seine Fahrgäste keine Stufe steigen müssen. Unterwegs braust und schwankt er wie ein Schiff auf windiger See. Man macht die Augen zu und träumt oder schaut hinaus ans Ufer. Das geht so bis zum Alexanderplatz. Dann steigen Touristen ein und wippende Ohrmuschelträger, die sich anschreien, weil die Musik so laut ist. Hier verliert der 348er seinen Dorfbus-Charme.

Gerd Riedel, „Ost-Mechaniker“ auf Rente, fährt fast täglich von der John-Schehr-Straße zur Landsberger Allee und zurück. Er besucht seine Tochter. Früher ist er mit dem „Neuner“, das ist der DDR-Vorfahre vom 348er, bis Friedrichstraße gefahren, zur Arbeit. Der fuhr alle 10 Minuten, sein Nachfahre nur noch alle 20 Minuten. Dass der 348er jetzt abgeschafft wird, „find’ ick nich’ jut“. Dabei lacht er. „Muss’ ick eben mehr loofen. Aber wat machen die vielen alten Leute, die hier wohnen?“

Die BVG interessiert sich mehr für das große Ganze als für die alten Leute. Das große Ganze ist das Busnetz, und weil man Geld sparen muss, wird es ausgedünnt. Bei der BVG sagt man lieber: an den Bedarf angepasst. In den Nebenstraßen, durch die sich der 348er schlängelt, schwächelt der Bedarf, und auf den Hauptstraßen fahren andere Linien parallel, der 200er, der 101er oder der 148er. Den 348er zu streichen, spart genau 250 000 Euro im Jahr, hat BVG-Marketingchef Tom Reinhold ausgerechnet. Da seien die „Kompensationen“ schon eingerechnet, das sind vor allem die Taktverbesserungen des 148er und der Tramlinien auf der Landsberger Allee.

Am Potsdamer Platz verlassen die Touristen den 348er und gebräunte Schulmädchen steigen zu, dann geht es runter in den Süden. Auf diesem Streckenabschnitt verkehrt Elizabeth Hoffmann, vormals Filmproduzentin. Meistens will sie von der Laubacher Straße in Wilmersdorf in die Philharmonie oder weiter in die Staatsoper. Als sie vor einem Jahr in die Laubacher Straße zog, sagte ihre Freundin noch: „Toll, da ist ja der 348er!“ Für Frau Hoffmann ist die stufenlose Direktverbindung zwischen Haustür und Hochkultur ein Stück Lebensqualität, das sie ungern missen möchte. Sie empfindet die Streichung ihrer Buslinie als Riesenfrechheit. Fast trotzig sagt sie: „Dann müssen wir eben wieder mit dem Auto fahren.“

Rentnerin Gisela Maier fährt mit dem 348er immer zum Arzt, zur Chemotherapie. Sie könnte auch die U-Bahn nehmen, „aber nach der Behandlung geht’s mir meistens nicht so gut, und dann die vielen Stufen...“ Yesiltepe Serap, Mutter von Selil, fährt mit dem 348er zum Einkaufen, zu ihren Ärzten und zur Bank. Kickboxer „Van Damme“, 16 Jahre alt, muss jeden Tag von der Pallasstraße zur Hauptschule nach Krumme Lanke. Ohne den 348er würde die Tour mindestens eine Viertelstunde länger dauern. Solche Viertelstunden summieren sich aufs Jahr gerechnet zu einer beeindruckenden Zahl verlorener Tage. Wenn alle Fahrgäste des 348er ihren künftigen Zeitverlust der BVG in Rechnung stellen, dürfte das die errechnete Einsparsumme ganz locker kompensieren.

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