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Berlin: Jetzt wird durchgegriffen

Im Neuköllner Rollbergviertel wollen Polizei, Bezirk und Quartiersmanagement sich nicht damit abfinden, ein Problemkiez zu sein

An einem regnerischen Januartag hilft auch die Pastellfarbe an den Neubauhäusern nichts: Eine Dunstglocke aus Tristesse und Ungemütlichkeit breitet sich über dem Rollbergviertel in Neukölln aus. „Sie müssen mal im Frühjahr kommen, wenn hier alles blüht. Dann ist es richtig schön", sagt Polizeirat Kai Nolle. Und dabei klingt er ein wenig wie ein Reiseleiter, der Touristen die angebliche Farbenpracht der ägyptischen Wüste schmackhaft zu machen versucht.

Doch nur auf den ersten Blick. Kai Nolle, 35 Jahre, Polizeirat im Abschnitt 55, mitten im Rollbergkiez, wirbt nicht nur mit dem Neuköllner Frühling. Jeden Tag kämpft er mit seinen Kollegen, dem Bezirk, dem Quartiersmanagement gegen ein Stigma: der Rollbergkiez als Ghetto, wo es vor Gewalttaten nur so wimmelt. Vergangene Woche hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) eine Stadtkarte mit neun „problemorientierten Kiezen" präsentiert. Neukölln-Nord mit dem Rollbergkiez zwischen der Hermannstraße und der Karl-Marx-Straße gehört dazu. „Aber wir sind auf dem aufsteigenden Ast“, sagt Nolle. Und deswegen sei es verheerend, wenn die Siedlung immer nur als Ghetto in Erscheinung trete: Weil dann immer mehr unbescholtene Bürger von hier wegzögen. Zahlen sagen zwar einiges – aber auch nicht alles: 5800 Menschen aus 40 Nationen leben in diesem Kerngebiet. Der Großteil sind türkischer oder arabischer Herkunft. Die Arbeitslosenquote liegt hier bei 20 Prozent – zwei Prozentpunkte über dem Berliner Durchschnitt .

Den meisten Ärger bereiten die Jugendlichen, die das „subjektive Sicherheitsgefühl“ beeinträchtigten, sagt Nolle. Die „den Chef machen wollen und Oma Kasuppke anpöbeln". Oder die Steine gegen die vielen Glasfronten der Häuser im Kiez werfen, mit dem Motorroller durch die Mittelpromenade im Rollbergviertel brausen, Mädchen belästigen oder sich schlagen, weil irgendwer die Ehre von irgendwem verletzt hat.

Renate Muhlak vom Quartiersmanagement (QM) ist überzeugt, dass die Arbeit mit der Polizei, dem Bezirk und den Jugendeinrichtungen schon etwas bewirkt hat: Nicht mehr jeden Tag gingen Scheiben kaputt, die vielen Graffiti seien weniger geworden. Zudem habe es die Wohnungsbaugesellschaft geschafft, eine renitente Familie, die Ärger gemacht hat, erfolgreich herauszuklagen.

Durchgreifen – in jeder Hinsicht, ist die Strategie. Dazu kamen den Beamten ein „rigoroser Jugendrichter und ein Staatsanwalt, der nicht zimperlich ist“, wie Nolle sagt, entgegen. Sie hätten freiwillig angeboten, sich speziell um die Straftaten im Rollbergkiez zu kümmern. Das Ziel: Täter werden schnell festgenommen und bestraft. Kein langer Weg über das Bereitschaftsgericht, dank dem direkten Draht zum Jugendrichter und Staatsanwalt. Statt ein paar Stunden gemeinnütziger Arbeit in irgendeinem Projekt abzuleisten, wandern die Straftäter in den Jugendknast. „Wir verhaften die möglichst innerhalb ihrer Gruppen. Das spricht sich dann herum wie ein Lauffeuer."

Renate Muhlak vom QM sagt, die gute Kommunikation untereinander sei entscheidend. Sie beschreibt das so: „Der Kiez hier ist ein Dorf. Fast jeder kennt jeden.“ Und so bekomme man mit, was los ist. Und diese Informationen wandern dann wieder ein paar hundert Meter weiter zu den Beamten des Abschnitts 55 – und umgekehrt. Soziale Kontrolle durch die Anwohner nennt man das. Die Bewohner sollen hinschauen, wenn jemand seinen Müll aus dem Fenster wirft. Es kommt hier sowieso heraus, wer es war. Und die Polizei greife dann schnell ein. So macht momentan ein Gerücht die Runde, dass sich ein Pädophiler im Kiez herumtreibt. Jemand hat es über jemand anderen an das QM weitergetragen. Die Polizei wurde sofort verständigt. „Es ist noch nichts spruchreif. Aber wir wissen von der Sache und beobachten das", sagt Nolle.

Wichtig sei, Konflikte möglichst schon im Vorfeld zu bekämpfen. Deswegen gehen die Beamten auch regelmäßig in die Realschulklassen der Zuckmayer-Oberschule, die in der Kopfstraße mitten in der Siedlung liegt. Das „Rechtsbewusstsein schärfen und Strafen aufzeigen“, nennt Nolle das, was er mit seinen Kollegen in den Schulklassen versucht. Schulleiter Gerhard Wittkuhns sagt, dass der Anteil der Schüler nicht-deutscher Herkunft teilweise bis zu fast 90 Prozent beträgt. Doch die ethnische Herkunft spiele bei den Problemen nicht die Hauptrolle. Viel schlimmer sei die soziale Verwahrlosung. Um einen Arbeitsplatz kümmerten sich die wenigsten Zehntklässler. Sie sähen sowieso keine Perspektive, sagt Wittkuhns. „Also resignieren sie vorher schon und kämpfen auch nicht um eine Lehrstelle.“ Eine „Mentalität des Nehmens“ und wenig Eigeninitiative herrschen hier vor. Aus einem Klassenzimmer tönt in der Pause „Turn me on“ von Kevin Lyttle aus dem CD-Player. Ein paar Schüler tanzen. Die Perspektivenlosigkeit sieht man ihnen hier nicht an. Im Rollbergkiez zu wohnen, heißt oft auch, nach außen den Schein zu wahren.

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