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Berlin: Joachim Haensel (Geb. 1938)

Von Vampiren keine Rede. Er war Chiropterologe

Er war der „Nestor unter den Beringern“, so würdigt ihn die Publikation „Nachtschwärmer“ des Brandenburgischen Ministeriums für Umweltschutz. In der Festschrift zum 40. Jubiläum der „Fledermausmarkierungszentrale Dresden“ werden 44 Artikel von Joachim Haensel zitiert. Er forschte in Kavernen, Gewölben und am Schreibtisch. Und er selbst? Wie sah er sein Verhältnis zu den Nachtjägern, die der Aberglaube zu Vampiren und okkulten Dämonen erklärte? Darüber schrieb er kein Wort. Als Naturwissenschaftler, Spezialgebiet Chiropterologie, lehnte er jede Mystifizierung ab.

Da gibt es diese Geschichte in der Straßenbahn von Rüdersdorf nach Friedrichshagen. Von dieser Geschichte haben sie noch lange gezehrt, Joachim und seine Fledermausfreunde. Die Freunde sind auf dem Heimweg, erschöpft vom Tagwerk im Dienst der Forschung. Sechs Stunden lang sind sie durch den stockdunklen Kalkstollen in Rüdersdorf gestapft, haben Winkel und Fugen ausgeleuchtet, schlafende Fledermäuse herausgenommen, die Art bestimmt, Ringe an den Beinen befestigt. Einige Tiere haben sie in Schuhkartons mitgenommen, damit ein Fotograf Porträts anfertigen konnte. Jetzt sitzen sie müde und zufrieden in der Bahn, Joachim ist eingenickt, merkt nicht, wie sich die Tiere durch den dünnen Karton beißen. Plötzlich hören die Freunde Geflatter, sie suchen nach dunklen Ecken, kriechen unter die Sitze. Jetzt keine Panik verbreiten! Nur wenige Fahrgäste merken auf, verstehen nicht, was vor sich geht, sind selber müde. Nach wenigen Minuten sind die meisten Flüchtlinge eingefangen.

Es heißt, der führende Fledermausexperte der DDR sei ein Mann von heiterer Natur gewesen. Und von großer Akribie und Entschlossenheit. Er war Herausgeber und regelmäßiger Autor der Fachzeitschrift Nyctalus, die einst von Professor Dathe, dem berühmten Tierparkchef, gegründet worden war. Sein Lieblingsforschungsobjekt war die Große Mausohrfledermaus, Myotis myotis, aber auch zur selteneren Bechsteinfledermaus, Myotis bechsteinii, hatte er ein besonderes Verhältnis. Sie war ihm gleich auf seiner ersten Erkundungstour in den ehemaligen Rüstungsstollen im Ostharz in die Finger geraten, ein Glücksfall, der sein wissenschaftliches Interesse anfachte.

In dieser Zeit, Ende der fünfziger Jahre, befasste er sich vorwiegend mit Vögeln. Und er studierte Landwirtschaft. Da drohte ein schmerzlicher Spagat zwischen Beruf und Berufung, aber er hatte Glück. Seine Leidenschaft war Professor Dathe aufgefallen. Er holte den forschenden Landwirt und promovierten Ornithologen nach Berlin und machte ihn zum Säugetier-Kurator des Tierparks.

1987 entdeckten zwei Freizeitforscher eine größere Ansammlung von Mausohrfledermäusen in den Katakomben einer leer stehenden Brauerei in Frankfurt an der Oder. Ein ideales Winterquartier. Joachim Haensel verhandelte mit den Oberen von Stadt und Bezirk und konnte den Abriss verhindern. Zehn Jahre später wurde die Brauerei zum besonders schützenswerten Flora-Fauna-Habitat erklärt. 2000 Fledermäuse überwintern jetzt hier.

Die Fledermaus-Arbeit veränderte sich durch die Wende kaum. Joachim Haensel verließ den Tierpark und kam als wissenschaftlicher Referent zum Naturschutzbund. Er gründete zusammen mit anderen den Verein „Mausohr“ und baute das Fledermausmuseum Julianenhof in der Märkischen Schweiz auf. Eine schwere Krankheit nötigte ihn schließlich, seine Arbeit niederzulegen.

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