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Berlin: Jubiläum eines Amtsvorstehers

Es darf als sicher gelten, dass Eberhard Diepgen sich seinen 60. Geburtstag etwas repräsentativer vorgestellt hat, als eine Art Gesamtkunstwerk aus privaten und staatlichen Komponenten, irgendetwas Großes, von dem er sich dann mit sanftem Unbehagen würde distanzieren können, uneitel, wie es seine Art ist.

Es darf als sicher gelten, dass Eberhard Diepgen sich seinen 60. Geburtstag etwas repräsentativer vorgestellt hat, als eine Art Gesamtkunstwerk aus privaten und staatlichen Komponenten, irgendetwas Großes, von dem er sich dann mit sanftem Unbehagen würde distanzieren können, uneitel, wie es seine Art ist. Doch es kam etwas dazwischen, der Regierende Bürgermeister heißt Klaus Wowereit, und der hat sich am Montag, einen Tag vor vor Diepgens Geburtstag, die Schlagzeilen einfach dadurch an sich gerissen, dass er seinen Lebensgefährten Jörn Kubicki zur Aids-Gala mitbrachte.

Berlin hat sich schlagartig geändert, und der streng bürgerliche Lebensentwurf von Eberhard und Monika Diepgen wirkt plötzlich seltsam altmodisch, so altmodisch wie der Politiker Diepgen, der die Stadt in 16 Jahren politischer Arbeit ebenso sehr geprägt hat wie umgekehrt die Stadt ihn. Das Verblüffendste an dieser Wandlung ist vermutlich, mit welchem Tempo er im öffentlichen Bewusstsein aussortiert wurde; der "Regierende Bürgermeister Diepgen" kommt als Versprecher selbst jenen längst nicht über die Zunge, die sich seinerzeit vom "Bundeskanzler Kohl" einfach nicht trennen mochten. Symptomatisch: Wer bei www.diepgen.de nach virtuellen roten Teppichen sucht, wird kommentarlos zur CDU umgeleitet, und die verliert auf ihrer Website kein Wort über das Jubiläum. Man mag das alles als Zeichen der Erleichterung lesen über das Ende einer langjährigen, zunehmend quälenden Dreierbeziehung zwischen Stadt, Partei und oberstem Amtsträger.

Wohl selten hat ein Politiker ohne erkennbares Charisma in Deutschland so lange reüssiert wie Eberhard Diepgen. Er versuchte gar nicht erst, aus dem Schatten des überlebensgroßen Vorgängers Richard von Weizsäcker zu treten, sondern richtete sich darin wohnlich ein, immer ein Stück besser informiert, immer ein wenig detailkundiger und pragmatischer als die Überflieger und großen Redner. Paradoxerweise vermochte er mit dem ewigen Ruf des "blassen Eberhard" noch in seinen späten Regierungsjahren zu punkten, indem er sich den durch die Zeitläufte gebeutelten, aller Ideologien überdrüssigen Wählern als einer vorstellte, der eben nicht groß herumredete, sondern rannte, rannte . .

Als ihm der Kollege Stölzl vor einem Jahr in der Abenddämmerung der Großen Koalition zum 59. Geburtstag ein historisches Türschild mit der Aufschrift "Preußischer Amtsvorsteher" vermachte, fand das niemand besonders ironisch, denn exakt mit diesen Worten ließ sich Diepgens Amtsauffassung umreißen, exakt so beschrieben ihn Freund und Feind - jedenfalls noch vor einem Jahr. Dass er den Skandal der Bankgesellschaft eben nicht preußisch, sondern pfälzisch zu bewältigen suchte, dass er ausgerechnet in der finalen Krise seiner von Krisen reichen Karriere Freundschaft über Machtinstinkt setzte, hat ihn folgerichtig das politische Leben gekostet. Der Sitz im Abgeordnetenhaus ist Geschichte, und ob es ein Happy End im Bundestag geben wird, weiß im Moment noch niemand - Parteien gehen mit ihren Verlierern nie sehr fürsorglich um.

Diepgen selbst macht in gewisser Weise weiter wie bisher. Anzumerken ist ihm aus der Distanz nichts; im Gegenteil scheint er sich noch stärker als zu seinen guten Zeiten in aufgesetzte, unwirkliche Heiterkeit zu flüchten, vor allem im Umgang mit der Journalisten, die er immer als natürliche Gegner zu empfinden schien. Zynismus allerdings ist nie seine Art gewesen, eher neigt er zur Resignation, die er im Amt freilich stets durch entschlossenen Dienst nach Vorschrift und Aktenlage zu überspielen verstand. Im Ruhestand fällt ihm dies schwerer, zumal es ja kaum Zweifel gibt, dass er sich hinter der Kinder-ich-hab-das alles-schon-hinter-mir-Fassade massive Vorwürfe macht, dass er sich den rasanten Verfall der Berliner CDU als eigenes Versagen zurechnet und intensiv damit hadert, den Umsturz hinter den Kulissen zu spät erkannt, Gegenmaßnahmen nicht entschlossen genug angepackt zu haben.

Dieser Stachel, so dürfen wir vermuten, sitzt tief - so tief wie der Zorn über die historische Ohrfeige, die ihm die Wähler 1989 ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt verpassten, als seine scheinbar überständige Wiedervereinigungs-Rhetorik plötzlich zum handfesten politischen Programm mutierte; Walter Momper durfte die Ernte einfahren, die Eberhard Diepgen ganz selbstverständlich als die seine ansehen musste. Als er wieder ans Ruder kam, war Glamour nicht mehr zu bezahlen, denn die finanzielle Basis der Stadt brach ein. Seine Schuld war das nicht - und doch wird er selbst sich die Frage nach den eigenen Fehlern auch am 60. Geburtstag stellen. Ganz leise, damit es kein Gratulant hört.

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