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Glaubenssache. Amina Hamed, 25, hat an der FU ihr zweites Staatsexamen in Pharmazie bestanden. Sie ist in Deutschland geboren, ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Tunesier. Zwischen zweitem und achtem Lebensjahr lebte sie in Tunesien, seitdem lebt sie in Wedding. In dem von Innensenator Körting unterstützten Projekt „Juma - jung, muslimisch, aktiv“ engagiert sie sich in der Gruppe „Identität“. Osamah Al Doaiss, 19, studiert ab Oktober an der TU Informatik und Mathematik. Er verbrachte seine ersten vier Lebensjahre im Jemen, woher sein Vater stammt. Mit sechs kam er nach Deutschland. Bei Juma engagiert er sich ebenfalls in der Gruppe „Identität“.

©  Mike Wolff

Junge Berliner Muslime: "Osama bin Laden ist mir so was von schnuppe"

Zwei junge Berliner Muslime über ihr Leben nach 9/11, die Toleranz des Islam und ihr Engagement für Verständigung.

Anlass für unser Gespräch sind die Anschläge in New York und Washington vor zehn Jahren. Am Donnerstag wurden in Berlin zwei muslimische Männer verhaftet, die vermutlich einen Anschlag verüben wollten. Was dachten Sie, als Sie davon gehört haben?

Amina Hamed: Ich hoffe, dass diese Nachricht unsere Aufklärungsarbeit und das, was wir versuchen aufzubauen, nicht in den Hintergrund drängt. Ich hoffe, dass man unsere Stimme weiterhin hört und unsere Botschaft von einem friedlichen Zusammenleben trotz solcher Nachrichten ankommt.

Osamah Al Doaiss: Ich dachte in dem Moment: Hoffentlich wird das nicht dazu führen, dass islamfeindliche Stimmen in der Politik laut werden und die Berliner Wahlen beeinflussen. Aber wenn diese Attentäter im Namen des Islams handeln wollten, dann haben sie die Religion nicht verstanden.

Inwiefern?

Der Prophet würde es nie gutheißen, unschuldige Menschen anzugreifen. Er hat nur Kriege gegen richtige Armeen geführt. Der Islam ist eine friedliche Religion, die zur Verteidigung aufruft, aber nicht zum Angriff. Zivilisten sind tabu.

Zählen „Ungläubige“ für Muslime auch zu den Unschuldigen?

Amina Hamed: Natürlich, das sind doch alles Menschen.

Osamah Al Doaiss: Im Koran steht: Es gibt keinen Zwang zur Religion. In der Geschichte haben Muslime, Juden und Christen oft friedlich miteinander gelebt. Da kann nicht tausend Jahre später einer kommen und sagen, das sind keine Menschen, sondern Ungläubige, die wir töten müssen. Das ist barbarisch und widerspricht dem Islam.

Kennen Sie die Ar-Rahman-Moschee im Wedding, in der einer der mutmaßlichen Sprengstoffbauer festgenommen wurde?

Osamah Al Doaiss: Ja ich kenne die Moschee natürlich, weil sie die Moschee der Nachbargemeinde ist, aber ich bin aktiv in der Moschee, weiter die Straße hoch.

Amina Hamed: Ja, ich auch. Wir beide besuchen die gleiche Moschee.

Herr Al Doaiss, Sie heißen Osamah mit Vornamen. Das war bestimmt nicht angenehm nach dem 11. September 2001?

Mein Vater hat schon am 11. September gesagt: Das gibt Probleme für die Muslime. Als klar war, dass Osama bin Laden dahinter steckt, lauerten mir morgens vor dem Unterricht fünf Mitschüler auf, um mich herumzuschubsen. In den Jahren danach habe ich immer wieder den Spitznamen Osama bin Laden bekommen. Ich habe einen Spaß daraus gemacht. Es war trotzdem manchmal belastend mit diesem Namen, aber ich trage ihn mit Stolz.

Mit Stolz auf bin Laden?

Um Gottes Willen, nein! Osama bin Laden ist mir so was von schnuppe. Ich bin stolz auf Usama ibn Zaid, einem Gefährten des Propheten, der viel für den Islam geleistet hat und den Spitznamen: „Der Geliebte, Sohn des Geliebten“ trug, als Andeutung auf die Liebe des Propheten zu der Familie. Er war mit 18 Heerführer. Das hat mich motiviert, schon als Jugendlicher Verantwortung in meinem Umfeld zu übernehmen.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Osamah Al Doaiss über Homosexualität denkt - und ob er Atheisten in seinem Freundeskreis hat.

Wie ist es Ihnen  nach dem 11. September 2001 ergangen, Frau Hamed?

Am nächsten Morgen im Gymnasium hielt uns die Geschichtslehrerin eine Zeitung vor die Nase und sagte: „Das waren Muslime“. Das war ihr einziger Kommentar. Danach änderte sich das Klima gegenüber uns Muslimen. Wir hatten zum Beispiel einen Gebetsraum, in dem mir manchmal gebetet haben. Nach dem 11. September durften wir den Raum nicht mehr benutzen, weil wir verdächtigt wurden, dort geheime Dinge auszuhecken.

Osamah Al Doaiss (OAD): Mein Vater hatte oft Angst, dass wir ausgewiesen werden und dass er sein Studium nicht beenden kann. Er wurde in der Straßenbahn als bin Laden beschimpft, obwohl er nur einen Dreitagebart trug.

Gab es auch Mitschüler, die sagten, das geschehe den Amerikanern recht?

Amina Hamed (AH): Es gab wohl einige. Aber nicht unter meinen Freunden. Deshalb habe ich das nicht so mitbekommen.

Es ist viel darüber spekuliert worden, ob sich der Islam mit Demokratie verträgt. Gibt es in Deutschland Gesetze, die man als Muslim schwer befolgen kann?

OAD: Mir fallen keine ein. Unsere Demokratie kommt den universellen Vorstellungen des Islam sehr nah. Die arabischen Länder sind davon weit entfernt. Schon die Grundrechte entsprechen Versen im Koran oder Überlieferungen des Propheten – außer im Punkt Homosexualität. Im Islam ist Homosexualität verboten, mehr kann man dazu nicht sagen.

Unterscheiden sich Islam und Demokratie nicht auch in der Frage der Gleichstellung von Mann und Frau?

AH: Mann und Frau sind verschieden, vom Körperbau, von der Denkweise. Jeder hat im Islam andere Pflichten, beide ergänzen sich. Oft wird allerdings Religion und Tradition verwechselt. Vieles, was aus Tradition getan wird, ist  nicht islamisch. Oder Koranverse werden aus dem Zusammenhang gerissen.

Zum Beispiel?

AH: Für viele steht im Koran, dass der Mann über der Frau steht. Sie nehmen sich diesen Vers und begründen damit die Unterlegenheit der Frau, die keinerlei Rechte besitzt. Jedoch ist dies ein Missverständnis, denn eigentlich heißt es nicht der Mann steht ÜBER die Frau, sondern FÜR die Frau. So hat in einer islamischen Familie alleine der Mann die Verantwortung für den Unterhalt und die Sicherheit der Frau. Das heißt auch, bringt eine Frau Geld mit in die Ehe oder arbeitet sie, könnte Sie dies alleine für sich behalten. Der Grundgedanke ist nicht die Unterdrückung der Frau, sondern der Schutz ihrer Lebensumstände.

Frau Hamed, Sie tragen Kopftuch. Wenn es ein Kopftuchverbot an der Universität gäbe, würden Sie es abnehmen?

Ja, zumindest auf dem Campus und nur wenn mir keine andere Wahl bleibt, denn Bildung ist mir wichtig und auch im Islam eine Pflicht. Es gibt ein islamisches Sprichwort, das lautet: Verlange nach wissen, von der Wiege bis ins Grab. Aber das Kopftuch war bisher zum Glück nie ein Problem. Auch in der Apotheke, in der ich gerade arbeite, nicht. Ich habe nur einmal eine unschöne Erfahrung gemacht. Das war im Internet, bei StudiVZ. Da gibt es eine Gruppe, die sich für ein Kopftuchverbot an europäischen Unis einsetzt. Ich hab mich da mal eingeloggt und denen geschrieben, dass ich  Kopftuch trage und  nicht unterdrückt bin. Ich wollte versuchen Vorurteile abzubauen und Missverständnisse zu klären. Ich wurde nur beschimpft.

Hat der 11. September dazu geführt, dass Ihre Familien religiöser geworden sind?

AH: Er hat dazu geführt, das wir uns mehr mit dem Islam auseinandersetzen, weil wir ständig gefragt werden und zeigen wollen: Wir sind nicht so, wir Ihr denkt. Deshalb engagieren wir beide uns auch in dem Projekt „Jung, muslimisch, aktiv“, das unter der Schirmherrschaft von Innensenator Körting steht. In  Arbeitsgruppen diskutieren wir zum Beispiel über Politik und Identität und die Frage, wie wir uns gesellschaftlich einbringen können. Der 11. September hat dazu geführt, dass die Muslime wacher geworden sind. Wir sind uns bewusst, dass wir mehr aufklären müssen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg – wenn Deutschland uns als Teil der Gesellschaft akzeptiert. Von daher hatte der 11. September, der schwarze Tag der Muslime, auch positive Folgen.

Sie haben auch eine öffentliche Aktion zum Jahrestag des 11. September geplant.

AH: Muslime, Christen und Juden haben symbolisch einen Turm gebaut und das Lied „Sweet Coexistence“ komponiert. Wir haben es am  Brandenburger Tor und im Roten Rathaus vorgetragen und wollten zeigen, dass wir gemeinsam etwas erreichen können und gegen Gewalt im Namen der Religion sind.

OAD: Ich mache da nicht mit,  weil ich finde, dass das Gedenken an den 11. September zu einseitig ist. Natürlich waren die Anschläge in New York und Washington furchtbar. Aber man vergisst die Leute, die danach in Kabul im Bombenhagel gestorben sind oder in Bagdad durch den Einmarsch der Amerikaner.

Für das 11.-September-Projekt arbeiten Sie mit Christen und Muslimen zusammen. Haben Sie auch Atheisten in Ihrem Freundeskreis?

OAD: Ich bin mit mehr Atheisten befreundet als mit Religiösen. Das ist wohl normal in einer Stadt wie Berlin. Man spricht zwar immer von der christlich-jüdischen Kultur. Aber die meisten können mit Religion nichts anfangen.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? Persönlich? Politisch?

AH: Ich werde als Apothekerin arbeiten und mich nebenher auch weiter zivilgesellschaftlich engagieren, vielleicht beim Deutsche Roten Kreuz, wenn es für mich als Kopftuchträgerin möglich ist, oder bei Amnesty International, Organisationen gibt es da viele.

OAD: Ich werde als Informatiker arbeiten und mich in der Politik für Muslime stark machen. Ich mache jetzt schon bei den Grünen mit. Vielleicht werde ich der erste Politiker sein, der im Bundestag offensiv vertritt, dass er fünfmal am Tag betet.

Möchten Sie auch in den Moscheen etwas ändern?

OAD: Die Moscheen und Verbände müssen mehr Öffentlichkeitsarbeit machen, um noch näher an die Gesellschaft zu rücken. Da wächst eine neue Generation heran, wenn Imame bald hier in Deutschland ausgebildet werden. Das ist ein wichtiger Schritt, auch um staatliche Anerkennung zu bekommen. Ich wünsche mir aber auch, dass der Staat mit weniger Skepsis an die Verbände herantritt und nicht ständig sortiert: Mit denen reden wir, mit denen nicht.

Sie sind in Amerika geboren, Herr Al Doaiss. Sie könnten also ein US-Präsident namens Osamah werden, oder?

Stimmt, aber lieber werde ich Bundeskanzler.

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