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Ekrem-Hamza Huskic

© Piero Chiussi

Junge Muslime und Juden im Dialog: "Man muss eigentlich nur zuhören und offen sein"

Das Projekt "Schalom Aleikum" fördert den jüdisch-muslimischen Dialog. Ein Gespräch mit dem jungen Bosnier Ekrem-Hamza Huskic über das Land seiner Herkunft.

Das folgende Interview ist eine Leseprobe aus dem Buch „Gehört werden – jüdische und muslimische junge Erwachsene im Gespräch“ (Hentrich & Hentrich Verlag, ISBN 978-3-95565-423-8). Das Buch erscheint im Rahmen des jüdisch-muslimischen Dialogprojekts „Schalom Aleikum“ und ist die dritte Veröffentlichung aus dieser Gesprächsreihe.

"Schalom Aleikum" ist ein Projekt des Zentralrats der Juden in Deutschland, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Annette Widmann-Mauz.

Ekrem, könntest du dich bitte kurz vorstellen?
Ich heiße Ekrem-Hamza Huskic und bin am 14. Juni 1997 in Berlin geboren. Niemand nennt mich eigentlich Ekrem, alle sagen immer Eki. Ich habe einen jüngeren Bruder, der ist 19, und eine jüngere Schwester, die ist zwölf. Mein Vater arbeitet bei Siemens, meine Mama ist Pädagogin. Meine Eltern kommen aus Bosnien. Momentan studiere ich an der Humboldt Universität zu Berlin Englisch und Geschichte auf Lehramt im fünften Semester. Nebenbei arbeite ich, um ein bisschen Taschengeld dazuzuverdienen. Sonst fotografiere und filme ich unheimlich gern. Das ist eigentlich alles, was man über mich wissen muss.

Warum willst du Lehrer werden?
Berufe, wo man mit Menschen arbeitet, finde ich generell schön, denn ich finde, man kann etwas bei den Menschen bewirken, mit denen man arbeitet. Gerade Jugendliche brauchen Lehrer, die ihren Beruf ernst nehmen, weil viele von ihnen kein Vorbild im Leben haben, an dem sie sich orientieren können. Eigentlich reicht es, wenn man als Lehrer ein Fels ist, der sagt: „Hey, du schaffst das.“ Ich will primär Schüler der Oberstufe unterrichten, damit ich bei den Schülern gut in Erinnerung bleibe. Es gibt ja meist genau diesen einen Lehrer, den man liebt, weil er einem voll geholfen hat.

Du hast zu Beginn erzählt, dass deine Familie aus Bosnien kommt. Was bedeutet Bosnien für dich?
Ich weiß, wer ich bin und woher ich komme. Ich weiß auch über die Geschichte Bosniens Bescheid und darauf bin ich stolz. So wurde ich erzogen. Ich bin Bosnier. Wir kommen aus einem Gebiet in Bosnien, in dem ein Genozid stattgefunden hat. Wir sind wegen der ethnischen Säuberungen nicht freiwillig von dort weggegangen. Ich finde es wichtig, das in Erinnerung zu behalten, um auch Lehren daraus zu ziehen. Ich glaube auch, dass ein Genozid erst dann vollendet ist, wenn man vergisst. Das will ich nicht.

Würdest du dich als Deutsch-Bosnier bezeichnen?
In erster Linie bin ich ein Mensch. Ich bin Kreuzberger, ich bin Berliner. Berlin ist für mich eine Insel und hat eine ganz eigene Mentalität. Jeder Migrant hat, glaube ich, dieses kleine Dilemma: In Bosnien bin ich Deutscher, in Deutschland bin ich Bosnier. Aber nur hier bin ich Kreuzberger. Nur hier bin ich unter Leuten, die die gleichen Mühen haben. Wir können voneinander lernen und am Ende des Tages hat man dieselben Hoffnungen und Träume, aber auch dieselbe Realität. Wir sind immer auf Identitätssuche, gerade hier unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Als Jugendlicher brauchst du eine Zugehörigkeit, du brauchst eine Gruppe. Ich glaube, dass diese Probleme uns auch irgendwie geeint haben.

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Früher wurden wir, Migranten und Ausländer, immer angemacht, dass wir doch bitte Deutsch reden sollen: „Wie, ihr redet zu Hause kein Deutsch? Das ist nicht schön. Das gehört sich nicht.“ Aber wenn Leute herkommen, die nur Spanisch, Französisch oder Englisch können, ist das auf einmal cool. Wenn du aber nur auf Bosnisch, Türkisch oder Arabisch geredet hast, wurdest du komisch angeguckt. Es fühlt sich an, als würde man nicht wertgeschätzt.

Während der Schulzeit wurde mir nie das Gefühl gegeben, dass ich deutsch bin. Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft. Ein Großteil meiner Familie wurde damals abgeschoben. Vor fünf Jahren wurde ich gefragt, ob ich denn nicht Deutscher bin. Das hat mich irritiert. Ich liebe Deutschland und fühle mich mit dem Land verbunden. Ich bin dankbar für alles und merke auch, dass ich die deutsche Mentalität wie die Pünktlichkeit voll drin habe. Wenn in Bosnien der Bus nicht kommt oder Leute sich verspäten, dann denke ich, dass das so nicht geht.

Ich habe mich immer irgendwie in der Mitte von allem gefühlt. Damit meine ich, dass ich nicht richtig zu den Leuten gehöre, die hier sind, aber auch nicht richtig zu den Leuten in der Heimat. Deswegen sage ich, dass ich eher Berliner bin, als Deutscher.

Welche Rolle spielt Religion in deinem Leben?
Ich bin sunnitischer Moslem. Glaube ist mir sehr wichtig. Von meinem Elternhaus und meinem verstorbenen Opa habe ich gelernt, dass der Glaube eine Art Netz ist, das sich über das ganze Leben spannt und gleichzeitig etwas sehr Individuelles ist. Mir persönlich hat der Glaube in meinem Leben immer unglaublich viel gegeben. Besonders in schweren Situationen, die gab es leider oft genug, hat mich das Beten und die Gewissheit, dass es da etwas gibt, immer irgendwie rausgeholt. Ich habe ein Problem damit, wenn Leute den Glauben instrumentalisieren, um andere zu beschämen. Auf dem Balkan nennen wir das Shame Culture.

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Ich finde auch den philosophischen Aspekt voll schön. Zum Beispiel lese ich Rumi. [Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī (1207-1273) war ein persischer Sufi-Mystiker, Gelehrter und einer der bedeutendsten persischsprachigen Dichter des Mittelalters, die Red.]. Da gibt es ein Zitat: „Gestern war ich klug und wollte die Welt verändern. Heute bin ich weise und möchte mich verändern.“ Das gibt meine eigene Ansicht sehr gut wieder. Ich denke, es fängt immer bei einem selbst an. Wenn wir uns gegenseitig auf einer respektvollen Basis begegnen, dann sollte es eigentlich kein Potenzial für Konflikte geben. Glaube heilt und ist für mich auch ein Hafen. Es ist Vertrauen und auch Liebe. Liebe erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl und ich sehe den Islam als eine Religion der Liebe an, weil ich es so gelernt habe.

Du hast anfangs erzählt, dass dich Fotografie interessiert. Kannst du uns das erläutern?
Ich habe mit einer Analogkamera von meinem Vater angefangen, zu fotografieren. Die ist schon dreißig Jahre alt. Ich habe einfach losgelegt und den Alltag in meiner Umgebung dokumentiert. Ich finde, das hat eine bestimmte Ästhetik, weil es etwas sehr Persönliches ist Es zeigt vielleicht keinen hohen Lifestyle, aber es zeigt unsere Art und Weise, zu leben.

Ich komme nicht mit Dingen klar, die mir weichgespült erscheinen. Dieses Dreckige, Toughere, Realistische und Düstere mag ich lieber. Es reizt mich, daraus was Cooles zu machen oder das Schöne darin zu zeigen. Dabei finde ich es cool, eine eigene Ästhetik zu schaffen und eine Schwäche zu einer Stärke zu machen.

Was wünschst du dir für das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland?
Gefühlt rückt die ganze Welt mehr nach rechts und auf der ganzen Welt scheint der Populismus mehr an Bedeutung zu gewinnen. Ich habe auch das Gefühl, dass die Gesellschaft verroht und immer mehr gespalten wird. Es herrscht immer mehr dieses „Wir-ihr-Gelaber“. Ich würde mir wünschen, dass die Leute weniger in Schubladen denken. Dabei rede ich jetzt nicht nur von den Deutschen, sondern auch von den Migranten. Ich wünsche mir, dass man viel mehr die Gemeinsamkeiten sieht, und dass man den Kindern von Anfang an das Gefühl gibt dazu zu gehören. Ich glaube, es macht ganz viel mit dem Kind oder Jugendlichen.

Hast du auch jüdische Freunde oder Begegnungen mit Juden?
Es ist ganz witzig, die erste Person jüdischen Glaubens habe ich erst an der Uni kennengelernt. Vorher habe ich nie einen gekannt. Für mich war das eine tolle Erfahrung, denn ich fand es erstaunlich, wie ähnlich sich die Religionen sind. Ich fand es krass, als wir im Schulunterricht das Lied „Shalom Aleichem“ besprochen haben. Darin gab es einen Vers, der ist aus dem Talmud und aus dem Koran: „Wer ein einziges Leben rettet, der rettet die ganze Welt.“

Ich habe mal ein Bild gesehen, welches während des Zweiten Weltkriegs in Bosnien entstanden ist: Eine muslimische Frau verdeckt mit ihrer Burka das Armband mit dem Davidstern einer jüdischen Frau. Über Herrn Travljanin [Meho Travljanin engagiert sich ehrenamtlich in der Bosnisch-Islamischen Kulturgemeinde in Berlin und Deutschland. Im August 2020 nahm er an einer „Schalom Aleikum“-Veranstaltung teil: „Faith Works – Jüdisch-muslimischer Dialog über Glaube als Beruf“, die Red.] habe ich erfahren, dass die bosnische Familie während des Bosnienkrieges wiederum von der jüdischen Familie gerettet wurde. Sie wurden nach Israel ausgeflogen. Die Geschichte ist für mich stellvertretend dafür, dass ein Miteinander möglich ist. Man muss eigentlich nur zuhören und offen sein. Klar ist es schwer für Leute aus bestimmten Ländern, die einen politischen, konfliktreichen Hintergrund haben. Aber wir sind hier, in Deutschland. Hier sollten wir miteinander klarkommen. Das fängt mit einer offenen Basis an. Ich bin mir sicher, dass man viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede finden wird. Es wäre langweilig, wenn alle gleich wären.

Wo siehst du dich in 10 Jahren?
Ich bin mein Leben lang mit Kindern aufgewachsen. Das Haus war nie leer und man war nie allein. Es ist wahrscheinlich mit das Schönste auf der Welt, wenn man so kleine Dinger hat, die aussehen wie man selbst.

Ich wäre gern gefestigt im Leben, sprich hätte einen Job, der mir Spaß macht und mich erfüllt. Ich würde gern ein sorgenfreies Leben führen, in dem Sinne, dass ich nicht jeden Monat gucken muss, ob es reicht. Ich habe nicht so viele Anforderungen an meine Zukunft: Abenteuer auf der einen Seite und Sicherheit auf der anderen.

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