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Berlin: Jungwähler günstig abzugeben

Die Behörden verkaufen den Parteien vertrauliche Daten von Bürgern. Datenschützer, PDS und Grüne sehen das kritisch

Über diesen Brief war der 18-jährige Justus Geschonneck irritiert. Der Lichtenberger SPD-Bundestagskandidat Andreas Köhler sprach den jungen Mann darin vertraulich mit „du“ an und forderte ihn auf, ihm am 18. September seine Stimme zu geben. „Dabei habe ich denen nie meine Adresse oder mein Alter mitgeteilt“, sagt Justus Geschonneck.

Wie den jungen Mann verwundert es in diesen Tagen auch andere Wähler, vor allem jüngere, dass sie in ihren Briefkästen Wahlwerbung finden, die auf ihre Altersgruppe zugeschnitten ist. Manche ärgern sich, dass vertrauliche Angaben zu ihrer Person weitergegeben wurden, ohne dass sie sich dessen bewusst waren.

Die Daten stammen von den Meldestellen des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, die diese wie bei jeder Wahl auch diesmal den Parteien zum Kauf angeboten haben – auf Wunsch nach Wahlkreis, Geschlecht, akademischem Grad und Alter sortiert. Rechtlich ist das zulässig: Das Meldegesetz sieht ausdrücklich vor, dass alle zur Wahl zugelassenen Parteien sowie Wählergemeinschaften und Einzelkandidaten Auskünfte aus den Melderegistern erwerben können. Politisch gibt es allerdings Kritik an dem nach Meinung von Skeptikern zu lockeren Umgang mit persönlichen Daten.

„Parteien sollten im Interesse des Datenschutzes keine Daten von Bürgern kaufen können“, sagt Carsten Schatz, Landesgeschäftsführer der Linkspartei/PDS. Seine Partei hat sich bewusst dagegen entschieden – auch, weil in früheren Wahlkämpfen diese Methode von rechtsextremen Parteien zur Werbung von Jungwählern genutzt wurde, was die PDS angeprangerte. Auch die Grünen stellen in diesem Fall Datenschutz über Wahlkampf, sagt die Berliner Parteichefin Almuth Tharan: „Gerade in unserer Klientel reagieren die Leute auf so etwas sehr sensibel.“

Die SPD, die wie die FDP auch in diesem Jahr wieder die Namen und Anschriften aller Berliner Erstwähler von den Behörden gekauft hat, sieht diese Form der gezielten Wahlwerbung als unproblematisch an. „Es gab bislang keinen einzigen Fall, in dem die Daten missbraucht wurden“, sagt SPD-Sprecher Hannes Hönemann. Er verweist darauf, dass alle Parteien sich verpflichtet haben, die Daten nach der Wahl zu vernichten. „Wir sind sehr pingelig mit dem Datenschutz.“

Der Datenschutzbeauftragte Alexander Dix bewertet die Praxis als „zulässig, aber nicht problemlos“, wie sein Sprecher Volker Brozio sagt. Er verweist darauf, dass Bürger beantragen können, dass ihre Daten nicht an Parteien weitergegeben werden. Kaum jemand weiß das aber. Musteranträge kann man auf der Website des Datenschützers herunterladen (www.datenschutz-berlin.de/infomat/datensch/musterbriefe/73232.pdf). „Das Problem ist jedoch, dass die meisten Bürger nicht wissen, wie die Parteien an ihre Daten kommen, und von denen auch nicht darüber informiert werden“, sagt Brozio. Bürgerdaten gekauft hat in Berlin dieses Jahr neben SPD und FDP auch die CDU, sagt Erhard Portner von der Senatsverwaltung für Inneres. Während SPD und FDP alle Erstwähler bekommen haben, war die Union wählerischer. Laut Portner hat sie für Mitte die 18- bis 20-Jährigen bestellt, für Pankow alle Wahlberechtigten und für Spandau Wähler zwischen 60 und 70. Der Preis liegt zwischen 250 und 3700 Euro. Kritik weist Portner für seine Behörde zurück: Neben dem Widerspruchsrecht könnten die Bürger schon bei der Anmeldung ausschließen, dass man ihre Daten weitergibt.

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