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Berlin: Justizsenatorin will Suizide in der Haft nicht mehr melden 2006 gab es bereits zehn Selbsttötungen CDU und Grüne kritisieren Dienstanweisung

Die neue Justizsenatorin Gisela von der Aue will die Öffentlichkeit nicht mehr über Selbsttötungen in den Gefängnissen unterrichten. Nach Informationen des Tagesspiegels hat von der Aue angewiesen, Selbstmorde nicht mehr zu melden.

Die neue Justizsenatorin Gisela von der Aue will die Öffentlichkeit nicht mehr über Selbsttötungen in den Gefängnissen unterrichten. Nach Informationen des Tagesspiegels hat von der Aue angewiesen, Selbstmorde nicht mehr zu melden. Die Entscheidung sei in der letzten Woche gefallen, nachdem sich in Moabit erneut ein Untersuchungshäftling das Leben genommen hat. Dass der 37 Jahre alte Siam B. sich mit seinem Bettlaken erhängte, sollte die Öffentlichkeit nicht mehr erfahren. Es war die zehnte Selbsttötung in diesem Jahr – so viele hat es seit 1987 nicht mehr in Berlin gegeben. Siam B. saß seit Oktober wegen Drogenhandels in Moabit. Schon im Sommer, als es eine Reihe von ungeklärten Todesfällen und Suiziden vor allem in Moabit und Tegel gegeben hatte, war im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhaus mehrfach über das Thema diskutiert worden.

Die Sprecherin der Senatorin, Juliane Baer-Henney, begründete die Anweisung so: Die Persönlichkeitsrechte eines Gefangenen und seiner Familie seien höher zu bewerten als das Interesse der Öffentlichkeit. Dem widersprach Andreas Gram, der Vorsitzende des Rechtsausschusses, gestern vehement. „Das Informationsbedürfnis des Parlamentes ist höher zu bewerten“, urteilte Gram. „So soll wohl verhindert werden rauszufinden, was in den Gefängnissen los ist“, kritisierte der CDU-Politiker – also zum Beispiel Drangsalierungen durch andere Gefangene oder schlechte Haftbedingungen. „Wie sollen wir die Gefängnisse verbessern, wenn wir nicht wissen, was dort los ist“, fragt der rechtspolitische Sprecher der CDU. Wenn die Justiz die Familien eines Toten schützen wolle, könne sie ja auf den Namen des Gefangenen verzichten, sagte Gram. Ohnehin hatte die Justiz den Nachnamen nur abgekürzt veröffentlicht.

Wie Gram, der erst durch die Anfrage des Tagesspiegels von dem neuen Prozedere erfuhr, urteilten auch Gefangene in Tegel: „Jeder Selbstmord ist ein Armutszeugnis für die Justiz, klar, dass die das unter der Decke halten wollen“, sagte ein zu langer Strafe verurteilter Gefangener aus Haus 3 in Tegel gestern. Der Abgeordnete Benedikt Lux von den Grünen kündigte an, „gegen die Entscheidung Sturm zu laufen“. Sie sei nach diesem Jahr absolut unverständlich, sagte der Rechtspolitiker.

Die Sprecherin der Justizsenatorin sagte weiter, dass künftig nur noch über Suizide oder Todesfälle berichtet werde, wenn ein „Fremdverschulden oder eine Dienstpflichtverletzung“ erkennbar sei. Bislang endeten die Kurzmeldungen der Justiz meist mit dem Satz „Eine Obduktion wurde veranlasst“, ein Ergebnis wurde jedoch nur einmal veröffentlicht: Als der Freitod eines Pakistaners in Moabit zu diplomatischen Verwicklungen geführt hat. Dass die Entscheidung der neuen Justizsenatorin gerade in dem Moment ergeht, wo Berlin auf einen neuen Selbstmordrekord zusteuert, sei zumindest merkwürdig, sagten alle befragten Experten. Nach Angaben der Verwaltung sei die Anweisung aber „unabhängig davon“, andere Bundesländer würden dies auch nicht melden. Die Polizei teilte auf Anfrage mit, Suizide in ihrem Bereich, also der Gefangenensammelstelle oder dem Abschiebegewahrsam selbstverständlich auch künftig zu melden.

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