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Berlin: Jutta Göbel (Geb. 1936)

Im März aber bedankte sie sich doch noch fürs Gedicht

Als Karl-Wilhelm im August 2000 bei der Geburtstagsfeier einer Freundin eintraf, fiel ihm Jutta Göbel ins Auge, „eine so feine, edle Frau“. Sie begannen ein Gespräch, das 13 Jahre lang so lebendig blieb wie an diesem Tag.

Er erfuhr, dass sie von einem Gutshof in Laboe kam, einem Ort am Ostufer der Kieler Förde, und dass sie den weiten Blick über die Ostsee liebte. Nach dem Abitur machte sie eine Lehre als Industriekauffrau beim Porzellanhersteller Rosenthal. Sie las sehr viel und hätte gerne studiert, doch das war für Frauen nicht üblich zu dieser Zeit. Nachdem aber ihr Verlobter, ein Leutnant auf dem Segelschulschiff Gorch Fock, tödlich verunglückt war, half sie ihrem Onkel, dem Kulturwissenschaftler Arnold Bergstraesser, sein Institut in Freiburg aufzubauen. Abends saß sie oft mit den Doktoranden zusammen und ließ sich von ihrer Begeisterung anstecken. Schließlich sorgte der Onkel dafür, dass sie in Aix-en-Provence Kulturwissenschaften studieren konnte.

Nach dem Studium organisierte Jutta sechs Jahre lang Kulturveranstaltungen für das Goethe-Institut in Paris. Sie begegnete Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, dem Zeichner Sempé. Auch Daniel Cohn-Bendit und sein Gefolge kamen, um in den großen Räumen ihr Studentenparlament abzuhalten. Das Institut wurde zu einer der Keimzellen der französischen Studentenbewegung.

Eines Tages stand ein Konzert des Pianisten Horst Göbel auf dem Programm. Weil der Notenumblätterer ausgefallen war, sprang Jutta ein, die selbst Klavier spielte. Horst war ein Mann, der etwas von Frauen verstand; er machte ihr sogleich den Hof. 1972 folgte sie ihm nach Berlin und wurde seine Frau und Managerin. Sie überwachte die Finanzen, organisierte Konzertreisen und begleitete ihn, sie wählte Stücke aus, die sein Göbel-Trio spielte. Auch beim Aufbau der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker unterstützte sie ihn. Dass Horst ab und an Affären hatte, ertrug sie still, bis er es eines Tages zu weit trieb: Er war mit einer chinesischen Pianistin liiert und nicht für sie da, als sie schwer krank wurde. 1994 trennten sie sich.

Ihr kulturelles Leben spielte sich fortan auf dem gesellschaftlichen Parkett Berlins ab. Eine Zeit lang war sie eine Art Hausdame des „Clubs Berlin“, die jeden Gast an der Tür empfing. Im „Lyceum-Club“, einer „Gemeinschaft selbstständiger und selbstbewusster Frauen“, leitete sie den Literaturkreis und beteiligte sich an der Musik- und der Französischgruppe. Dann waren da noch die Wanderungen und Reisen der Pückler-Gesellschaft, bei denen es um die Kulturgeschichte hochherrschaftlicher Gärten ging. Außerdem sang Jutta im Chor der Grunewaldkirche.

Die Beziehung mit Karl-Wilhelm ging sie ganz langsam an. Als er bei der Geburtstagsfeier um ihre Telefonnummer bat, verwies sie ihn an die gemeinsame Freundin. Einige Wochen später lud er sie ins Kino ein, ein paarmal gingen sie spazieren. Vor Weihnachten schenkte er ihr ein Gedicht – und verlor den Mut, weil sie mit einem Geiger liiert war. Im März aber bedankte sie sich doch noch fürs Gedicht und trennte sich vom Violinisten. Dann wurden sie ein Paar

In einer Nacht im Juni schmiedeten Jutta und Karl-Wilhelm am Telefon Pläne für die Zeit nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus. Ihr Krebs war erfolgreich behandelt worden. Am nächsten Morgen sollte sie nach Hause. Die Nacht aber überlebte sie nicht. Die Ärzte hatten eine innere Verletzung übersehen. Candida Splett

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