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Kältehilfe in Berlin: Heime für Obdachlose sind so voll wie nie

In diesem Jahr fragen mehr Frauen und jüngere Männer nach Unterkunft. Der Kältebus ist jetzt täglich unterwegs, die BVG öffnet nachts drei U-Bahnhöfe. Auch in den kommenden Tagen soll es eisig kalt werden.

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Berlin - Jetzt drängeln sie sich am Abend wieder vor der blauen Haustür an der Lehrter Straße 68 in Mitte: Zumeist Männer älterer Jahrgänge mit Rucksäcken und Tüten, auf der Suche nach einer warmen Bleibe. „Notübernachtung Berliner Stadtmission“ steht auf einem Schild an der Klingel des schlichten 60er-Jahre- Baus in Sichtweite des Hauptbahnhofes. Seit dem Kälteeinbruch in der vergangenen Woche fanden hier mehr als 150 Obdachlose jede Nacht eine Unterkunft. „Der Andrang ist gewaltig“, sagt die Sprecherin der Stadtmission, Ortrud Wohlwend. „Unser zentrales Heim am Hauptbahnhof, aber auch die vielen kleineren Übernachtungsmöglichkeiten für Wohnungslose in der Stadt sind schon übervoll.“ Bereits im strengen Winter 2009/2010 kamen etwa zwölf Prozent mehr Obdachlose in die Notunterkünfte. Nun rechnet die Stadtmission mit einem weiteren Anstieg um bis zu 14 Prozent.

Seit dem 1. November sind die meisten Übernachtungsadressen geöffnet, zugleich ist wieder der Kältebus der Stadtmission unterwegs, um Obdachlosen zu helfen, die nicht mehr aus eigener Kraft eine sichere Bleibe aufsuchen können. Insgesamt gibt es in Berlin zurzeit rund 400 Übernachtungsplätze in Heimen, Nachtcafés, Wärmestuben und Suppenküchen. Die meisten kleineren Angebote werden von rund 90 Kirchengemeinden ehrenamtlich organisiert; sie sind deshalb oft nur ein oder zwei Nächte in der Woche geöffnet. Rund um die Uhr bieten die zwei größten Berliner Obdachlosenheime in der Charlottenburger Franklinstraße und an der Lehrter Straße Hilfe an. Und als zusätzliches Angebot hält die BVG seit Anfang November wieder die U-Bahnhöfe an der Schillingstraße und am Hansaplatz in Mitte sowie am Südstern in Kreuzberg während der nächtlichen Betriebspausen offen. Koordinator all dieser Projekte ist die „Kältehilfe Berlin“, deren Website den gesamten Überblick bietet. Unterstützt wird sie unter anderem von der evangelischen Stadtmission, der katholischen Caritas, dem Senat und einzelnen Bezirken.

Im Haus an der Lehrter Straße gilt das Motto: „Jeder Gast ist willkommen und wird auf Augenhöhe behandelt.“ Dieser respektvolle Umgang mit den Wohnungslosen habe sich in der Szene herumgesprochen, sagt Ortrud Wohlwend von der Stadtmission. Deshalb würden immer mehr Betroffene Hilfe annehmen. Ob der derzeitige Andrang auch mit einem möglichen Anstieg der Obdachlosigkeit in Berlin zusammenhängt, können hingegen selbst Experten nicht sicher sagen. Das Diakonische Werk geht zurzeit von 11 000 Menschen aus, die in der Stadt dauerhaft keine Wohnung haben. 2009 lagen die Schätzungen noch etwas niedriger.

An der Lehrter Straße gibt es gleich hinter der Haustür den „Willkommensraum“, wo sich die Gäste in eine Liste eintragen. Wer nicht schreiben kann, macht drei Kreuze. Danach folgt die „Leibesvisitation“, Alkohol und Drogen sind tabu. Anschließend stehen am Küchentresen heiße Suppen, Salate, Obst und Süßigkeiten bereit. Man kann duschen, sich medizinisch versorgen und frisieren lassen oder sich im Aufenthaltsraum die Zeit vertreiben. Alles ist gratis und wird von einigen Hauptamtlichen sowie einer Schar ehrenamtlicher Helfer organisiert.

Vergrößert wurde in der vergangenen Woche der Schlafraum für Frauen. Jetzt gibt es dort zehn statt bisher fünf Betten. „Weibliche Obdachlose sind zahlreicher geworden“, so die Stadtmission. 95 Prozent der Wohnungslosen sind aber weiterhin Männer, wobei „der Anteil der Jüngeren zwischen 20 und 30 Jahren wächst“. Und weil Treber gerne mit Hunden unterwegs sind, hat man sogar ein Extrazimmer für Herrchen und ihre Vierbeiner eingerichtet.

Etwa 60 Schlafplätze an der Lehrter Straße werden vom Bezirk Mitte finanziert, die weiteren mehr als 100 Betten bezahlt die Kirche aus eigenen Mitteln und mit Spenden. Der Etat des Kältebusses setzt sich ähnlich zusammen: Hier trägt der Bezirk Neukölln die meisten Kosten, obwohl der Bus in ganz Berlin unterwegs ist. In dieser Saison stand der Bus allerdings bisher aus Geldmangel freitags und samstags still. Wegen des „dramatischen Andrangs von Obdachlosen“ fährt er aber ab sofort wieder die ganze Woche. „Wir müssen das irgendwie bezahlen“, sagt Ortrud Wohlwend – und bittet zugleich dringend um Spenden.

Angesichts der Wettervorhersage bereitet man sich an der Lehrter Straße auf weitere Großeinsätze vor: Auch in den kommenden Tagen bleibt es laut der Prognose des Deutschen Wetterdienstes (DWD) winterlich und kalt. Immer wieder fällt Schnee, zum Wochenbeginn vor allem im Norden und Osten, in der Wochenmitte eher im Süden. Dazu ist es überwiegend bewölkt bei Temperaturen um fünf Grad unter null in den Bergen und plus ein bis zwei Grad am Oberrhein. Nachts soll es eisig kalt werden. Bis zu 13 Grad minus. Am Mittwoch werden stellenweise sogar tagsüber Temperaturen von bis zu minus zwölf Grad erwartet.

Kältehilfe: Tel. 6808 1107, www.kaeltehilfe.de. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 100 205 00), Kontonummer: 5444, Stichwort: Kältehilfe.

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