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Berlin: Karl-Heinz Moegenburg (Geb. 1933)

Dass andere sich trennten, sobald es schwierig wurde, konnte er nicht verstehen

Es ist nicht wichtig, wie alt man wird, sondern wie man alt wird“, fand Karl-Heinz Moegenburg. Weil er die Gabe hatte, sich an kleinen Dingen zu erfreuen, haderte er nicht mit dem Älterwerden. Bis fast zum Schluss.

Sein Vater, ein überzeugter Nationalsozialist, der seit 1939 als Bordmechaniker bei deutschen Kampfeinsätzen mitflog, starb 1942, als sein Flugzeug über Smolensk abgeschossen wurde. Mit der kränklichen Mutter lebte Karl-Heinz in Blankenburg bei Berlin. Als der Krieg nach Deutschland kam, schickte sie ihn aufs Land zu den Großeltern, wo er sich geborgen fühlte. Als er am Heiligen Abend beim Schlittschuhlaufen in eine Jauchegrube gefallen war, nannte die Großmutter ihn zärtlich „Modderkrebs“, statt zu schimpfen, verbrannte sie die stinkende Kleidung im Ofen und schrubbte ihn in einer großen Wanne sauber, damit er in angemessenem Aufzug an der Weihnachtsfeier teilnehmen konnte.

Es waren die guten Erinnerungen, die er behielt. Dass er sich in dieser Zeit immer gewünscht hatte, wenigstens einmal satt zu werden, erzählte er zwar – allerdings nicht, ohne der Geschichte eine beruhigende Wendung zu geben: Weil er gut in Mathe war, machte er die Hausaufgaben für die Bauernkinder, die ihm dafür ihre dick belegten Stullen gaben.

Nach den Großeltern starb schon bald seine Mutter. Mit 20 war er ganz auf sich allein gestellt. Immerhin verdiente er schon sein eigenes Geld als Maschinenbauer. Es dauerte nicht lange, da verliebte er sich in die neun Jahre ältere Gerda, die bereits zwei Kinder hatte. Bald kamen zwei gemeinsame Kinder hinzu.

Karl-Heinz war etwas scheu, wenn es um fremde Menschen ging, umso wichtiger war ihm die Familie. Regelmäßig kam der Schwiegervater zur Schachpartie. Mit dem Schwager spielten sie Skat. Die Kinder waren stolz, wenn sie dem Vater in die Karten gucken durften. Das erste Wort der Tochter: „Pik König.“ Sie spielten „17 und 4“ und „Schlesische Lotterie“ um Geld. Wenn Karl-Heinz später mit den Enkeln spielte, steckte er ihnen heimlich das Geld zu, das sie vorher verloren hatten.

Sein Stiefsohn stahl bei der Armee eine Waffe und wurde zu anderthalb Jahren Haft verurteilt, aus denen drei wurden, weil er im Gefängnis einen politischen Witz erzählte. Die Stimmung war gedrückt, die Familie geriet in eine Krise. Dass andere sich trennten, sobald es mal schwierig wurde, konnte Karl-Heinz nicht verstehen. Für ihn kam das nicht infrage.

Seine Gabe war es, sich mit der Freude an den kleinen Dingen zufriedenzugeben. Er liebte es zu lesen, neben der Zeitung Bücher über die deutsche Geschichte und Biografien, etwa die von Helmut Schmidt oder Margaret Thatcher. Und er begleitete seinen Sohn zu den Fußballspielen, 26 Jahre lang zu jedem einzelnen.

Der gute Kontakt zu seinen Kindern gab ihm Halt, als Gerda krank wurde. Da war sie gerade mal 60. Bisher hatte Karl-Heinz nach der Arbeit die Beine hochgelegt, während sie sich um den Haushalt kümmerte; nun übernahm er. Das Alleinsein nach ihrem Tod 1994 fiel ihm schwer, doch irgendwann fand er zu seinen kleinen Freuden zurück.

Erst als er lange krebskrank war, konnte er seinem Leben nichts mehr abgewinnen. In den letzten drei Jahren zog er sich zurück, irgendwann brach er die Behandlung ab und verweigerte sogar die geliebte Sportschau. Als er in ein Hospiz verlegt wurde, blühte er kurz auf, vielleicht weil er erleichtert war, dass es zu Ende ging. „Ich habe doch alles erlebt.“ Candida Splett

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