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© Ullstein

Kershaw über Hitler: Das Charisma des Führers

"Hitler und die Deutschen" ist das Thema einer großen Ausstellung im Deutschen Historischen Museum im kommenden Jahr. Dazu läuft in diesen Tagen bereits ein Symposium mit Vorträgen und Diskussionen. Hitler-Biograf Ian Kershaw machte gestern Abend den Anfang.

Im kommenden Jahr widmet sich das Deutsche Historische Museum in Berlin (DHM) einem unverändert brisanten Thema: „Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen“ lautet der Arbeitstitel der parallel zum 48. Deutschen Historikertag im September geplanten Ausstellung. Bereits jetzt hält das DHM dazu ein Symposium ab, das am Donnerstagabend mit einem Vortrag des britischen Historikers Ian Kershaw begann. Kershaw ist als Autor einer in der deutschen Übersetzung rund 2300 Seiten umfassenden Hitler-Biografie, der wohl endgültigen Aufarbeitung des „widrigen Gegenstands“, wie Hitler-Biograf Joachim Fest gesagt hat, der berufene Kenner, um über die eigentümliche Faszination Hitlers zu referieren.

Der mittlerweile emeritierte Geschichtsprofessor des Jahrgangs 1943 beruft sich ganz und gar auf Max Webers Definition der charismatischen Herrschaft, um Hitlers Regiment zu deuten. Der „Führer“ habe die Erwartungen seiner Anhänger erfüllt, er sei „Staatsmann, Herrscher und Krieger zugleich“ gewesen. Lange vor seinen Erfolgen ab 1930 sei er „die Bindungskraft der zerstrittenen Nazi-Bewegung“ gewesen. Dabei habe er nie einen Hehl aus seinen langfristigen Zielen gemacht: die Überwindung der Klassengesellschaft durch die „Volksgemeinschaft“ sowie die gewaltsame Abrechnung mit den politischen Gegnern, die er stets als „Novemberverbrecher“ apostrophierte.

Da sich die vermeintlich klassenlose Gesellschaft nicht verwirklichen ließ, blieb Hitler und den Nazis die rassistisch-nationale „Volksgemeinschaft“ durch Ausgrenzung der zum Feind erklärten Juden. Kershaw greift den von Hans Mommsen geprägten Begriff der „kumulativen Radikalisierung“ auf, um das Anwachsen des Gewaltpotentials etwa in der SS zu charakterisieren. Mit der berüchtigten Reichstagsrede vom 30. Januar 1939 macht Hitler das Ziel der Vernichtung der Juden öffentlich, die „Lösung der Judenfrage“ wurde so zu einem „regelrechten Kriegsziel“.

Hitlers Popularität erreichte nach dem Sieg über Frankreich im Juni 1940 ihren Höhepunkt, ging aber nach dem Fall von Stalingrad im Februar 1943 dramatisch zurück. Hitler hielt danach keine öffentlichen Reden mehr. Es folgte die beschleunigte Zersplitterung der Herrschaft innerhalb des NS-Regimes, und es blieb - und verschärfte sich vielmehr - die „unermessliche Gewalt“ der einzelnen Machtzentren.

Nach der Niederlage 1945 wurde „das Bild des charismatischen Führers auf den Kopf gestellt“: Nun fühlten sich die Deutschen als Opfer. Und sie übersahen, dass sie Hitler „entgegengearbeitet“ hatten, wie das  Schlüsselwort Kershaws zur Charakterisierung der Deutschen in der Nazi-Zeit lautet.

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