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Berlin: Kinder von Pop und Karaoke

Wenn Hipster mehrstimmig singen: Der Berliner Kneipenchor intoniert Liedgut fürs Jungvolk und ist mit seinem Amateurprogramm gerade so was von populär.

Jetzt ruft schon die CDU an, um sie für irgendein Sommerfest zu buchen. Chorgründer Mathias Hielscher schüttelt verblüfft den Kopf. Eine irre Nachfrage nach Auftritten gebe es gerade, sagt er. Das sei ja sehr schön, aber mal müsse auch gut sein mit Konzerten. Schließlich ist und bleibt der Berliner Kneipenchor eine Amateurtruppe. Allerdings eine, die inzwischen mehrmals pro Monat auftritt, etwa am kommenden Donnerstag im Schokoladen in Mitte.

Heute ist Dienstag, da proben sie immer im Michelberger Hotel gegenüber vom U-Bahnhof Warschauer Straße. Durch die hohen Fenster fällt blau der Abend ins beige gekachelte Restaurant. Chorleiterin Jana Klepers, die 30 und studierte Jazzsängerin ist, hat sich hinter ihrem Keyboard platziert und nach und nach kleckern die Sänger ein. Um die 20 Leute, alles Freunde von Freunden, von 19 bis Mitte 30, fifty-fifty Männer und Frauen, Phänotyp: Kreativbranche. Nette Typen, die gewohnt sind, diese Stadt zu ihrer Spielwiese zu machen. Seit Januar letzten Jahres nun auch den bislang als nicht eben cool beleumundeten Chorgesang.

„Guten Morgen, sind wir schon ein bisschen wach?“, ruft die Chorleiterin in die eher lässig als diszipliniert herumstehende halbe Runde. Das möchte sein, ist nämlich schon 20 Uhr. Das Einsingen klingt trotzdem noch etwas müde. Und bei den ersten beiden Nummern des inzwischen zehn vortragsreife Lieder umfassenden Repertoires von Jay-Z bis Abba, legt sich dann schlagartig der Verdacht, es könne sich doch um eine verkappte Profitruppe handeln. Die zu Halbplayback mal vierstimmig und mal sechsstimmig gesungenen Songs „Teenage Dream“ von Katy Perry und „Männer“ von Herbert Grönemeyer klingen lustig, aber nicht perfekt. Obwohl „Männer“ sogar in einem veritablen Chorsatz rüberkommt. „Ist es auch“, nickt Jana Klepers. Das Arrangement hat der Kneipenchor von den Bläck Fööss zur Verfügung gestellt bekommen.

Diese nicht ganz unbekannte Kölner Band darum zu bitten, ist für diese Chorknaben und Chormädels nicht ganz so exotisch wie für andere: Einige Mitglieder haben auch sonst mit dem Musikgeschäft zu tun. Chorgründer Mathias Hielscher, inzwischen Veranstalter und Eisdielenbesitzer, war früher Bassist bei der Berliner Band Virginia Jetzt!, Moderator Nils Bokelberg macht mit und der Herr da im Bass mit der dicken Brille kommt einem auch merkwürdig bekannt vor. „Sven Rathke“, stellt Hielscher ihn in der Pause vor. Rathke, Rathke, nie gehört. Dann dämmert’s, na klar, das ist doch Sven van Thom! Der Typ, der Brandenburg vor ein paar Jahren mit dem Song „Jaqueline“ beim Bundesvision Song Contest vertreten hat. Rathke nickt. Das spielt beim Kneipenchor aber keine Rolle, sagt er. Da ist er rein privat dabei, fast von Anfang an. Dabei wollte er erst gar nicht, als ihn ein Kumpel mitschleppte. Ich hatte keine Lust, mir wöchentliche Proben ans Bein zu binden“, sagt er, „doch dann ging mir beim ersten Mitsingen so dermaßen das Herz auf.“ Ihm gefallen die Proben viel besser als Auftritte. „Das ist Entspannung, so aufzugehen in der Masse.“ Na ja, Masse, irgendwie auch relativ, diesen Dienstag bestreitet er den Bass gerade mal mit zwei Kollegen, die sich zum Proben ihrer Stimme beim neu eingeübten Song „Get around“ von den Beach Boys jetzt erst mal etwas zurückziehen. Die muntere Surfernummer läuft nämlich trotz des Ganzkörpereinsatzes von Jana Klepers noch nicht so richtig. Auch der Alt muss sich mühsam Ton für Ton sortieren. Ein heiteres Bild: Hipster bei der fisseligen Notenarbeit.

Sie seien schon viel besser geworden, lobt Klepers den Chor, aber professionell werde er nie. „Sobald Geld ins Spiel kommt, stirbt die Motivation, deswegen passiert das nicht.“ Fürstliche Gagen nähmen sie allerdings schon, grinst Hielscher. „Damit finanzieren wir unsere Chorfahrten.“ Wohin? „In die evangelische Bildungsstätte Hirschluch.“ Dann muss das Projekt mehr als eine wöchentliche Karakoe-Party sein. Hielscher nickt. Ernsthafter Spaß ist es, sagt er. Ein Singestammtisch, der Pop intoniert, und kein verstaubtes Repertoire. „Chor wird wieder cooler“, ist Jana Klepers überzeugt. Das glaubt auch der 60 000 Sänger in 2000 Chören vertretende Berliner Chorverband, der seit vergangenem Jahr viele neue Anmeldungen registriert.

„Kneipenchor“ heißt die Truppe übrigens in Anlehnung an englische Pub-Chöre und „Berliner“ gehört als fester Zusatz dazu. Müsse sein, sagt Hielscher, „wie bei den Berliner Philharmonikern.“ Logo. Er selbst hat die vergangenen zwei Stunden alles gemacht, bloß keine Note von sich gegeben. Selbst mitsingen tut er nicht. Warum? „Na, weil ich es nicht kann.“ Hartes Schicksal, so als Chorgründer.

Schokoladen Mitte: Do 19. 4., ab 19 Uhr; Heimathafen Neukölln: Do 26. 4., ab 18.45 Uhr (bei der Radio Eins Radio Show), Infos: www.berliner-kneipenchor.de

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