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Berlin: Kindheit im Elend

Ekelessen in der Badewanne, zerfetzte Matratzen: Die Familie war den Behörden bereits bekannt

Peter Senftleben, der Reinickendorfer Jugendstadtrat, sprach von „bedenklichen Zuständen“. Und das war noch sehr freundlich formuliert. Wie berichtet, hatte die Polizei am Donnerstag sechs Kinder und Jugendliche in einer völlig verwahrlosten Wohnung im Märkischen Viertel entdeckt. Die drei jüngsten – zwei Mädchen im Alter von sieben und acht Jahren sowie der zweijährige Sohn der 40-Jährigen Mutter – werden nun künftig „im nachbarschaftlichen Umfeld untergebracht“, sagte der SPD-Politiker Senftleben gestern. Die drei älteren Söhne – 12, 15 und 17 Jahre alt – bleiben vorerst bei der momentan alleinerziehenden Mutter.

Wie gestern bekannt wurde, hatte die Polizei die Mutter besucht, weil der Vater als vermisst gemeldet worden war. Als die Beamten an der Tür der Hartz-IV- Empfängerin klingelten, sei ihnen ein „bestialischer Gestank“ entgegengeschlagen, wie ein Polizist sagte. Der Zustand der Fünf-Zimmer-Wohnung, in dem die Familie sowie drei Kampfhunde und zwei Katzen lebten, habe selbst hartgesottene Beamte „fassungslos“ gemacht: Die Schränke waren vermüllt. Das Bad war unbenutzbar; im Waschbecken lagen Schlafsäcke mit Erbrochenem. In der Badewanne befanden sich vergammelte Essensreste, die Toilette war verstopft. Der Kühlschrank war von Schimmel befallen. Die Matratzen, auf denen die Kinder schliefen, hatten die Tiere zerfetzt. Für die sieben Familienmitglieder gab es nur ein Handtuch. Ein freier Träger werde nun versuchen, „die Wohnung auf Vordermann zu bringen“, sagte Jugendstadtrat Senftleben. Es ist in diesem Jahr bereits der vierte Fall von Kindesverwahrlosung.

Die Familie ist den Behörden bekannt. Zwar sei die Mutter „kooperativ“, doch schon 2004 und 2005 wurde das Jugendamt eingeschaltet, weil zwei der Söhne die Schule geschwänzt hatten; auch war ein Sohn in eine Raubtat verwickelt. Das Jugendamt hatte sich damals dafür eingesetzt, dass die Familie eine größere, die jetzige Wohnung erhält. In der alten Wohnung seien die Zustände „nicht toll“, so Senftleben, aber eben auch nicht so schlimm gewesen. Am Donnerstag entscheiden die Behörden, ob die drei jüngsten Kinder zur Mutter zurückkönnen. Bereits am Montag klärt ein Tierarzt, ob von den Kampfhunden – einer sei ein „Gasthund“ – eine Gefahr ausgehe.

Die drei anderen Fälle von Vernachlässigung liegen nur wenige Tage zurück: Am 9. Januar waren es Nachbarn in einem Marzahner Mietshaus, die aufgrund eines „ekligen Geruchs“, der aus einer Wohnung drang, die Polizei riefen. Dort trafen die Beamten auf die 39-jährige Mutter mit ihren sechs Kindern (5, 8, 12, 16, 17 und 18 Jahre) sowie dem zweijährigen Enkelkind. Auch hier waren die Essensreste verschimmelt. In der Wohnung machten sich Fliegen breit.

Nur zwei Tage später folgten zwei Verwahrlosungsfälle: Diesmal holten die Polizisten zwei vier und sechs Jahre alte Kinder aus der Wohnung einer 31-Jährigen in Wedding. Wenige Stunden später folgte ein Einsatz in Spandau, wo die Ermittler ein einjähriges und ein dreijähriges Mädchen dem Jugendamt übergaben. Sie mussten zwischen Schimmel, Spinnweben und Fliegenfängern hausen.

Bereits Anfang des Jahres hatte die zuständige Kommissariatsleiterin beim Landeskriminalamt (LKA), Gina Graichen, von einer „merklichen Steigerung“ von Verwahrlosungsfällen im vergangenen Jahr gesprochen. Auch die Zahl der Misshandlungen habe zugenommen. Die Zahlen werden bei der Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik 2006 im Februar präsentiert. Im Jahr 2005 zählte das LKA 313 Vernachlässigungen und 472 Misshandlungen.

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