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Das Aufbau-Haus am Berliner Moritzplatz.

© IMAGO/ Wolf P. Prange

Klanginstallation im Aufbau-Haus: Am Sonntag wird ein Berliner Hinterhof zum Musikinstrument

Die Geräusche der Stadt nehmen die meisten nur nebenbei wahr. Sam Auinger macht sie zum Herzstück einer Klanginstallation.

Der Hinterhof des Aufbau-Hauses am Moritzplatz ist, nun ja, mit einem Wort: schnöde. Da ist ein Parkplatz, umringt von langweiligen Glas– und Betonfronten. Ein Café auf der einen, eine Mittagskantine auf der anderen Seite, davor Sitzgelegenheiten – hier kann, wer in einem Coworking-Space im Aufbau-Haus arbeitet, relativ günstig zu Mittag essen. Wer beim Essen schön sitzen möchte, findet in der Umgebung geeignetere Orte. Für Klangkünstler Sam Auinger ist dieser Hof allerdings Musik: „Da hinten“ – er zeigt auf eine Einfahrt – „bricht es durch. Und dort auch – da kommen Klänge von der Straße in den Hof.“ Die Schallwellen werden hier reflektiert, da gebeugt und überlagert. „Gleichzeitig hat der Hof eine variantenreiche Rechte-Winkel-Architektur mit Nischen, Mauerspalten, unterschiedlich hohen Vordächern – das heißt, hier treffen viele verschiedene Rauminhalte aufeinander.“

Und unterschiedliche Rauminhalte bedeuten verschiedene Resonanzfrequenzen. Erklingt ein Geräusch in diesem Hof, ein einfahrendes Auto, eine Fahrradklingel oder bloß Fußschritte, so regt es diese Resonanzfrequenzen unterschiedlich an. Das hört man, wenn man selbst einige Schritte im Hof umhergeht und darauf achtet: Alle paar Meter treten verschiedene Teilbereiche des Klanggewirrs von der Straße in den Vordergrund – hier ist es der wummernde Bass des Verkehrs, einen Schritt weiter die Stimmen von Passant:innen am Moritzplatz, wieder einige Schritte weiter meint man weit in die Ferne hören zu können. Verkehr, Stimmen, Baustellen, Fahrradklingeln und mehr – alles hält sich die Waage in einem dichten Berliner Soundscape. „Wegen der schieren Größe des Hofs kann man schon von einer akustischen Topographie sprechen: Hier grenzen ganz verschiedene akustische Räume direkt aneinander, mit dem Auge sind diese Grenzen aber überhaupt nicht wahrnehmbar“, sagt Auinger strahlend. Wüsste man nicht, dass er von einem schnöden Hinterhof spricht, könnte man meinen, es handle sich um einen Konzertsaal – oder ein riesiges, begehbares Musikinstrument.

Seit den Achtzigern realisiert Auinger Klanginstallationen

Diesen Sonntag wird das, was der Künstler hier demonstriert, als Herzstück der Klanginstallation „sounding berlin“ zu hören sein, die er mit dem Künstlerkollegen und Bassisten Hannes Strobl und dem Gründer der Streaming-Plattform Radio Aporee, Udo Noll, veranstaltet. Es ist fast alte Schule, wie der gebürtige Linzer und Wahlberliner Auinger über Raumakustik spricht. Historisch gesehen ist Klangkunst eine Raumkunst, die das Hören von Architektur, Landschaft, sozialen Zusammenhängen in den Vordergrund stellt – statt eine zeitliche Dramaturgie, wie man es aus der Musik kennt. Über die Jahrzehnte ist der Begriff aber derart verwässert, dass sogar manche Pioniere des Genres es mittlerweile zur Abgrenzung „Klang-Installationskunst“ nennen. Für Auinger ist das Nebensache. Er weiß, was er tut: Auf der ganzen Welt hat er seit den Achtzigerjahren Klanginstallationen, Konzerte und Interventionen realisiert – etwa im Coronasommer 2020 die Installation „Eleven Songs“ in der Halle am Berghain, ebenfalls mit Hannes Strobl, mit dem er das Duo „tamtam“ bildet.

Lautsprecher spielen Live-Übertragungen aus ganz Berlin

Am Sonntag muss das Publikum im Hof nicht darauf warten, dass etwas akustisch Interessantes in der Stadt geschieht. Vier mobile Lautsprecher werden während der Aufführung immer wieder neu auf Bereiche des Hofs ausgerichtet und sie so in Schwingung versetzen. Sie spielen Live-Übertragungen von verschiedenen Orten in Berlin ab. Hannes Strobl wird dazu Kontrabass spielen und, wie er sagt, „den Hof zum Sprechen bringen“. Auinger will eine „andere Aufmerksamkeit für Stadt entstehen lassen“. Menschen würden so viele Angebote nutzten, um aus ihrem Alltag zu entkommen und sinnliche Erfahrungen zu machen, etwa in einer Meditationsgruppe. Bewusst im Alltag zu hören sei dagegen einfach. „Man hört natürlich sowieso unentwegt“, erklärt der Künstler. „Wir sind allerdings die meiste Zeit über damit beschäftigt, einen gewaltigen psychischen Aufwand zu betreiben, um alles wieder auszublenden. Für die vielen Feinheiten und Zwischentöne haben wir kaum noch Aufmerksamkeit übrig“.

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Das habe mit unserer Zeit zu tun: Informationen müssten möglichst mit einem Blick zu erfassen sein. Sich die Welt hörend zu erschließen, sei dazu ein Gegenentwurf. „Ein einladender Gegenentwurf“, betont er, „ohne den großen Schock, wie ihn die Kunst vor nicht langer Zeit verfolgte. Die Zeit der Schocks ist vorbei.

Wenn es hier einen Schock gibt, dann einen ganz zärtlicher Art. Wir sind doch alle schon verletzt genug.“ Sonntag, 11 bis 20 Uhr im Hinterhof des Aufbau-Hauses, Prinzenstraße 85. Zugang direkt vom Moritzplatz, Eintritt frei.

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