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Berlin: Klare Worte von der Kanzlerin

Angela Merkel besuchte eine Hellersdorfer Realschule – und beeindruckte Schüler und Lehrer bei einer Diskussion über die Zukunft Europas

Anja, Sabrina und Yvonne sind in der 7a. 7c wäre ihnen lieber, zumindest an diesem Montag. Dann könnten sie mit Angela Merkel jetzt nämlich ein ernstes Wort über Gerechtigkeit reden: „Ich habe drei Geschwister“, sagt Anja. „Meine Mama überlegt, ob sie sich Hartz IV anschaffen soll, weil das mehr bringt als ihre Arbeit als Putzfrau.“ Sabrina berichtet, dass sie neuerdings nur noch sporadisch Taschengeld bekommt. Und Yvonne erzählt, dass ihre Mutter bei einer Sicherheitsfirma jetzt auch Nachtschichten machen muss, damit die Familie halbwegs über die Runden kommt.

Vielleicht meint die Bundeskanzlerin solche Probleme, als sie wenig später in die Mikrofone sagt, sie sei „sehr bewusst hierher nach Hellersdorf gekommen“. Viele Politiker sind an diesem „EU-Projekttag“ in Schulen; die Kanzlerin hat sich die Caspar-David-Friedrich-Realschule ausgesucht, die auf drei provisorische Neubauwürfel verteilt zwischen sechsgeschossigen Plattenbauten und nie fertig gewordenen Grünflächen ganz weit im Berliner Nordosten steht und sich als Ganztagsschule mit musischer Ausrichtung profiliert. Erst ist Merkel in der 7c, um einen Blick in die Französischwerkstatt zu werfen. Dann schaut sie eine Barocktanzvorführung der 8c an und redet mit den Schülern über Kultur im Allgemeinen und Barock im Speziellen. In der 9c lässt sie sich die selbst gemachte Ausstellung zu Lebenswegen Berliner Schüler zeigen, die es schon bis ins Kommunikationsmuseum geschafft hat. Schließlich diskutiert sie mit Zehntklässlern über Europas Zukunft. Und bekennt danach, wie bürgerfern der EU-Sprech sei: „Wenn man vor einer Klasse steht, fällt einem jedes Fremdwort auf, das man sonst so leicht in den Mund nimmt.“

Dieses Bewusstsein für die richtigen Worte und der Verzicht auf Phrasen ist allen besonders angenehm aufgefallen. „Wir hatten uns das wesentlich steifer vorgestellt“, sagt Deutschlehrerin Gabriela Weber, die bei der Europa-Diskussion dabei war. Auch Jacqueline und David, beide 16 Jahre alt und bisher keine Merkel-Fans, sind beeindruckt. Die Frage, warum so viele gut ausgebildete Deutsche das Land verlassen, habe Merkel mit dem Argument entschärft, dass ja auch viele fitte Osteuropäer zu uns kämen. Und als jemand von der Kanzlerin wissen wollte, warum sie im Ausland offenbar beliebter sei als in der Heimat, habe sie sehr klug den Glanz des diplomatischen Parketts einerseits und die Niederungen der Innenpolitik andererseits erklärt. „Sie wirkte dabei viel menschlicher, als sie im Fernsehen rüberkommt“, sagen die beiden.

Auf dem Hof drängen sich die Schüler um die Kanzlerin auf ihrem Weg zum Auto. Fotohandys klappen. Von der Hauptschule nebenan schallen Applaus, „Angie“-Rufe und Pfiffe herüber. „Is’ ja wie bei Tokio Hotel hier“, seufzt eine Schülerin. Irgendwo im Getümmel steht Heino Schön, der Schulleiter. „Ich glaube, dieser Besuch gibt Schülern und Kollegen einen gewaltigen Motivationsschub“, sagt er zufrieden. Hinter ihm rennt ein Junge zurück ins Schulhaus, um sein soeben ergattertes Merkel-Autogramm – roter Filzstift auf knittrigem Papier – vor dem Niesel zu retten.

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