zum Hauptinhalt

Berlin: Klaus Behnke (Geb. 1950)

Wenn das Leben nicht maßgeschneidert ist, gehen manche unter. Er nicht

Es gibt Zauberwörter. Und wenn man sie trifft, dann sind sie wie ein Schlüssel. Dann dreht sich das Schloss, und eine Tür geht auf. Die Tür zu einem Leben. Bei Klaus Behnke heißt das Zauberwort trotzdem. Es schließt sein Leben auf.

Natürlich ist es mit dem einen Wort nicht getan. Auch wenn die Wurzeln dieses Lebensbaums im Trotzdem gründen, heißt das noch lange nicht, dass seine Blüten stets die gleiche Trotzdem-Farbe trugen. Es gab viele Farben. Schwarz wie seine Sturheit und rot wie seine Liebe, gelb wie seine Streitlust und nachtblau wie seine Warmherzigkeit. All diese Farben gehörten zu Behnkes Leben. Der Klaus war nicht nur ein einziger Klaus.

Er ist zum Beispiel ein Weggeher und ein Dableiber zugleich gewesen. In seiner Eigenschaft als Dableiber war er ein Dauerbewohner der Gaststätte „Lentz“ am Stuttgarter Platz, gehörte zu ihr wie das Mobiliar. Hatte er doch gleich überm „Lentz“ seinen Arbeitsplatz, psychoanalytische Gemeinschaftspraxis, erster Stock, und nebenan in der Windscheidstraße seine Wohnung. Ein Mann der kurzen Wege. Das hatte seinen Grund. Es hing mit seinen Beinen zusammen.

Vielleicht hing dieses ganze Trotzdem mit seinen Beinen zusammen. Knochen-Tuberkulose hieß die Diagnose damals in Teltow, 1953. Da war er gerade drei und lag fortan im Kinderkrankenhaus im Gipsbett, eine Tortur, fünf Jahre lang. Und danach war es nicht vorbei. Während draußen die anderen Jungs auf Bäume kletterten und Fußball spielten, saß er zu Hause, bekam Privatunterricht und machte das, was er sein weiteres Leben auch machte: aus der Not eine Tugend. Er las, was er in die Hände bekam; und wenn er nicht las, spielte er Klavier. Er hatte schöne Pianistenhände.

Später trug er lange Haare und einen Parka. Das war keine modische Laune, sondern ein Statement. Wenn das Leben nicht maßgeschneidert ist, dann gehen manche unter. Klaus Behnke nicht. Er ging in die Opposition. Aber nicht auf die Barrikaden. Sein Widerstand waren seine Fragen: Warum? Warum nicht anders?

Wer so hartnäckig fragte, bekam im DDR-Staat eine entschiedene Antwort: keine Zulassung zum Psychologie-Studium. Behnke versuchte es ersatzweise mit Theologie, aber schon da war dem späteren Dableiber klar, dass Zeit zum Weggehen war – weg von zu Hause, weg aus der DDR, diesem „Gefangenenlager mit Grünanlagen“. 1977 kam er nach West-Berlin und wurde Psychoanalytiker.

Geht schon, sagte Klaus Behnke, geht schon noch. Immer weiter, immer ein Stück weiter. Trotzdem. Nicht über die Beine stolpern, nicht über die DDR-Vergangenheit. Was anderen ein Grund zu verzagen gewesen wäre, war ihm ein Motor. Auch wenn er bald am Stock gehen musste. An keinem gewöhnlichen. Es musste einer mit Silberknauf sein. Und auch später, als es schlimmer wurde mit den Beinen, Operation und dann der Rollstuhl, achtete er auf Stil: kein Krankenkassen-Rolli, sondern ein exklusives Modell, Lamborghini-Rollstuhl. Und nicht nur einer, sondern drei. Einer für die Praxis, einer für die Wohnung, der dritte fürs Auto. Immer selbstständig bleiben, bloß nicht abhängig werden. Hilflosigkeit wäre das Schlimmste. Trotzdem. Keine Abstriche machen, das Unbedingte wollen. Immer alles besser wissen, immer das letzte Wort haben. Und lesen, lesen, lesen. Die Wohnung war voll von Büchern, sie quollen aus den Regalen, sie stapelten sich auf dem Fußboden. Wertvolle Erstausgaben waren darunter, darauf war er stolz.

Essenseinladungen geben, vom Rollstuhl aus kochen; riesiges Gewürzregal, edle Kaffeemaschine, es musste vom Besten sein, immer Lamborghini. Wenn schon einkaufen, dann bei Feinkost-Rogacki. Und weiter am Klavier sitzen, Klassik spielen. Früher hatte er eine Band, Rock, Jazz. Bei seiner Beerdigung spielte die Organistin „Procol Harum“, „A Whiter Shade of Pale“.

Gleich nach dem Studium war es gewesen, in den achtziger Jahren, da arbeitete er im „Treffpunkt Waldstraße – Beratung Moabit“, einer Anlaufstelle für Menschen in Not, hauptsächlich für Suchtkranke. Nach dem Fall der Mauer und der Öffnung der Stasi-Archive kamen viele, die ihre Akten eingesehen hatten – irritiert, entsetzt, enttäuscht über die Spitzel und die Zersetzungspläne. Aus deren Betreuung wurde mehr. 1995 entstand „Zersetzung der Seele“, ein Buch über Psychologie und Psychiatrie im Dienst der Stasi, und danach ein zweites, „Stasi auf dem Schulhof“. Im Sommer 1998 schließlich trat die Beratungsstelle „Gegenwind“ ins Leben, wofür sich Klaus Behnke und der Bürgerrechtler Jürgen Fuchs besonders einsetzten.

Das Interesse der Öffentlichkeit, sagte Klaus Behnke, gelte nur den Tätern, die Opfer würden gemieden. Er wollte deren Anwalt sein, ihr Seelenanwalt. Der Mann, der immer das letzte Wort haben musste, verwandelte sich in seiner Praxis zum ersten Zuhörer. Und seine eigene Leidensgeschichte ließ ihn in eine besondere Nähe zu seinen traumatisierten Patienten dringen.

Und doch wollte er ein Leidender nie sein. Selbst als er die letzten Monate seines Lebens wegen eines Gehirntumors in Gatow im Hospiz verbrachte, war ihm Selbstständigkeit das Wichtigste. Niemand durfte ihn im Rollstuhl schieben, er wollte ihn allein fahren. Weil er es konnte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false