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Berlin: Kleines Bild, große Geste

Um 1952 bekam BBC-Korrespondent Charles Wheeler ein Porträt geschenkt Jetzt gab er es der Gemäldegalerie zurück, die es seit 1944 vermisst hatte

Die Gesichter sind dem Anlass entsprechend feierlich an diesem Mittwochmorgen: Ein seit Jahrzehnten verloren geglaubtes Gemälde kommt zurück ins Museum. Gleich werden zwei Möbelpacker einen goldgerahmten, schwer angewitterten Schinken hereinschleppen, denkt man – und bemerkt erst auf den zweiten Blick, dass der Schatz schon auf dem Tisch steht, hier in der Bibliothek der Gemäldegalerie nahe dem Potsdamer Platz. Es ist kaum größer als eine Postkarte, das „Bildnis einer Dame mit Hündchen“. Doch die Geschichte des 400 Jahre alten Werkes ist umso großartiger.

Charles Wheeler sitzt am Tisch hinter dem Bild. Ein schmaler alter Mann mit zurückgekämmtem, vollen grauen Haar und dem Gesichtsausdruck eines Menschen, der mit sich im Reinen ist. „Ich hatte das Bild fast 60 Jahre lang, das Museum nur 50“, sagt er in akzentfreiem Deutsch und erinnert sich: Es war um 1952, als er im Studio am Savignyplatz arbeitete, beim BBC-Funk, speziell für die Hörer in der von allen „Ostzone“ genannten DDR. Die Grenze war noch offen, so dass täglich zwei, drei Besucher kamen, um Berichterstatter für den britischen Sender zu werden: „Briefe ohne Unterschrift“, hieß die Rubrik, in der Ostdeutsche Geschichten von Land und Leuten schreiben konnten, die anonym im Radio vorgelesen wurden. Einer dieser Korrespondenten sei auf einen Kaffee vorbeigekommen, habe dies und jenes erzählt und schließlich einen braunen Umschlag hervorgeholt: „Hier, ein Hochzeitsgeschenk!“ Er habe nicht vor zu heiraten, erwiderte Wheeler, damals Ende zwanzig. „Aber vielleicht später“, habe der Gast gesagt, ein Bauer aus dem Oderland. Das Bild von unbekanntem Wert habe ihm ein Russe gegeben; für zwei Sack Kartoffeln, die er gegen Wodka tauschen wollte. Es kann so gewesen sein oder anders, sagt Wheeler, wer weiß.

Ihm gefiel das Bild der würdevoll schauenden Dame. Er stellte es in seine Wohnung. Und nahm es bei jedem Umzug mit: von Berlin nach London, von dort nach Indien, nach Amerika, wieder nach Berlin, weiter nach Brüssel und schließlich, 1975, nach Sussex. Dort stand es auf dem Bücherregal in der Wohnung von Charles Wheeler und seiner Frau. Bis er im vergangenen Jahr für eine Sendung über Verluste von Kunstwerken im Zweiten Weltkrieg recherchierte und an die Londoner Commission for Looted Art geriet, die sich um die Rückvermittlung von Beutekunst bemüht. In einem gepolsterten Umschlag brachte er seinen geheimnisvollen Schatz in das Büro, bat um eine ungefähre Einordnung und bot an, es zurückzugeben – wem immer das Bild einst gehört haben mochte.

Nach einigen Recherchen nahm die Kommission die Fährte nach Berlin auf. Tatsächlich fand sich das Bild in einem von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 1995 publizierten Verlustkatalog. Dokumentiert ist seine Geschichte, seit es 1894 vom Kupferstichkabinett in die Gemäldegalerie kam – 1939 noch einmal fotografiert, seit 1944 verschwunden. Jetzt ist es das erste Werk, das die Stiftung auf diesem Weg zurückbekam. Wheeler weiß nun, dass es sich bei der Porträtierten um Eleonora von Toledo handelt, die mit dem Herzog von Florenz, Cosimo I. de Medici, verheiratete Tochter des neapolitanischen Vizekönigs. Das auf Pappelholz gemalte Bild wird dem 1607 gestorbenen Alessandro Allori zugeordnet, von dem sich ein zweites Porträt Eleonoras in der Gemäldegalerie befindet. Der Größe nach ist es eine Miniatur, aber wegen seiner malerischen Qualität sehen es die Experten als Gemälde. „Meine Frau und ich rauchen“, sagt der 83-Jährige. „Die Farben waren wohl lebendiger, als ich es von dem Bauern bekommen habe. Aber wenn Sie ein wenig wischen…“

Das Bild sei gut erhalten, sagt die Konservatorin der Stiftung. Wenn im Herbst das Bodemuseum samt einer Ausstellung Florentiner Kunst wiedereröffnet wird, soll es ausgestellt werden – mit einem kurzen Text zu seiner langen Geschichte.

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