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Die Kolonie am Flughafen Tempelhof ist künftig ein Teil von Kreuzberg.

© Mike Wolff

Gebietsaustausch mit Schöneberg-Tempelhof: Kleingärtner werden Kreuzberger

Grenzen versetzen? Fast schon Routine in Berlin – von Staaken bis Pankow. Die Bezirke dürfen Flächen abtreten, wenn der Senat zustimmt. Auch die Landesgrenze zu Brandenburg müsste eigentlich verschoben werden.

Grenzkonflikte werden in Berlin einvernehmlich geklärt. Da können sich andere Territorialgewalten mal ein Vorbild nehmen. Innensenator Frank Henkel hat jetzt die „12. Verordnung zur Änderung der Bezirksgrenzen“ erlassen und den relativ kleinen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg um 7,3 Hektar wachsen lassen. Die Grenzverschiebung nördlich des Columbiadamms geschah ohne jeden Waffengang, mit Billigung der Bezirksverordneten von Tempelhof-Schöneberg, die im Gegenzug nur ein Stück Straße erhielten.

Ursprünglich sollte das „Lilienthal-Dreieck“ gegen das „Yorckdreieck“ ausgetauscht werden, doch bei den langwierigen Verhandlungen, geführt noch unter dem hartnäckigen Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, wurde deutlich, dass die Kreuzberger Verordneten einer Abtretung des Yorckdreiecks am Gleisdreieck-Park niemals zustimmen würden. Ersatzhalber dürfen die Schöneberg-Tempelhofer die Sportflächen auf beiden Dreiecken künftig gleichberechtigt mitnutzen.

97 Kleingärtner wechseln den Bezirk

So werden aus den 97 Tempelhofer Kleingärtnern der „Kolonie am Flughafen“ jetzt 97 Kreuzberger Kleingärtner. Ihr Chef, Wolfgang Hahn, ist darüber sehr erfreut. „Wir sind ein kleines verlorenes Dreiländereck“, sagt er, und vom Bauchgefühl ohnehin eher Kreuzberg zugehörig. Der Bezirk hatte die Kolonisten tatkräftig unterstützt, als sie sich gegen die Baupläne des Senats zur Wehr setzten. Der wollte das „Lilienthal-Quartier“ als Teil der Bebauung für das Flughafenareal entwickeln, nahm aber schon lange vor dem Volksentscheid von diesen Plänen Abstand.

Der Fußballplatz des Vereins Berliner Amateure, früher Tempelhof, jetzt Kreuzberg.

© Mike Wolff

Des Weiteren erhält Friedrichshain-Kreuzberg das alte Regenwasserrückhaltebecken des Flughafens und einen Fußballplatz, der bereits vom Kreuzberger Verein Berliner Amateure genutzt wird. Der Bezirk würde das Rückhaltebecken gerne in weitere Sportplätze umwandeln, doch wegen des Votums der Berliner gegen jede Bebauung auf dem Ex-Flughafen steht diese Planung in Frage. Eigentümer der ausgetauschten Flächen ist überwiegend das „Deutsche Reich“, vertreten durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima).

Die Fläche wurde vom kaiserlichen Militär genutzt und gehörte später zum Flughafen. Im Hungerwinter 1946 gaben die Amerikaner einige Flächen als „Grabeland“ frei. Daraus entstand die Kleingartenkolonie. Die Kleingärtner würden das Reichseigentum gerne kaufen, um langfristig von Bauplänen verschont zu werden.

Berühmte Gebietsaustausche: Steinstücken und Lenné-Dreieck

Der Senat begründet den Gebietsaustausch mit einer Vereinfachung von „Verwaltungs- und Planungsprozessen“. Um Schlaglöcher auf dem Columbiadamm zu flicken, mussten sich bislang drei Bezirke an einen Tisch setzen, künftig sind es nur noch zwei. Ähnliche Gründe wurden schon früher genannt, etwa 2001, als die große Bezirksreform viele Grenzen einfach verschwinden ließ.

Berühmt wurden die Gebietsaustausche im Kalten Krieg. Die West-Berliner Mauer-Exklave Steinstücken wurde 1971 an das übrige Stadtgebiet angeschlossen, vorher kontrollierte die DDR den Zugang. Das Lenné-Dreieck am Potsdamer Platz gehörte ursprünglich zum Bezirk Mitte, lag aber westlich der Mauer. 1988 wurde das Problem bereinigt, das Dreieck Tiergarten zugeschlagen. Damals wechselten insgesamt rund 180 Hektar die Seiten. Die DDR ließ sich die Bereinigung der Landkarte mit 76 Millionen Mark versilbern.

Die Austauschvereinbarungen wurden im Einigungsvertrag 1990 bestätigt. Zugleich machten die Unterhändler einen Gebietsaustausch rückgängig: Die Teilung der Gemeinde Staaken in Ost und West. Nach dem Krieg hatten die Russen und Briten die Trennung beschlossen, als Ausgleich für eine Arrondierung von Flächen am britischen Flugplatz Gatow.

Am Bethaniendamm wurde ein "Keil" von Mitte abgetrennt

Doch das Grenzverschieben ging auch nach der Wiedervereinigung munter weiter. Prenzlauer Berg wuchs im Jahr 2000 um rund sechs Hektar. Ein Teil des gleichnamigen Volksparks gehörte vorher zu Lichtenberg. Weißensee bekam damals ein Stückchen Hohenschönhausen zugesprochen. Die Grenze beider Bezirke verlief zwischen der Darßer und der Bitburger Straße diagonal durch ein neunstöckiges Verwaltungsgebäude. Diese Trennung war doch etwas misslich.

2004 hatte sich Kreuzberg schon einmal bereichert. Am Bethaniendamm ragte der Bezirk Mitte keilförmig in den Nachbarbezirk hinein. Dieser Keil wurde abgetrennt. Betroffen davon war der Türke Osman Kalin, der an dieser Stelle noch zu Mauerzeiten seine Laube gebaut hatte, auf dem Territorium der DDR. Er wurde durch die Grenzverschiebung Kreuzberger.

Grenzen innerhalb der Stadt lassen sich relativ einfach neu ziehen. Mit Brandenburg dürfte es schwieriger werden. An die Landesgrenze in Höhe der Gemarkung Schönefeld traut sich bisher niemand heran. Sie verläuft mitten durch die Trainingshallen der Lufthansa. Aus dieser Grenzerfahrung resultiert wohl der häufig auftretende Adressfehler „Berlin-Schönefeld“.

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