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Berlin: Knallhart Neukölln

Der neue Film von Detlev Buck macht schon Schlagzeilen, bevor er in den Kinos läuft. Denn ein ganzer Bezirk kommt darin schlecht weg Der Tagesspiegel zeigte den Streifen dem SPD-Bürgermeister Heinz Buschkowsky und dem Grünen-Politiker Özcan Mutlu – und lud sie zum Streitgespräch „So schlimm wie im Film geht es in Neukölln nicht zu“ Özcan Mutlu „Das findet so auf Neuköllns Straßen alles statt“ Heinz Buschkowsky

Knallhart – der neue Buck-Film hält, was der Titel verspricht. Am Sonntag wird „Knallhart“ auf der Berlinale Premiere feiern, doch diskutiert wird er bereits heute. Es ist eine Geschichte über Jugendgewalt und Hoffnungslosigkeit und die spielt in Neukölln. Für Heinz Buschkowsky, den Neuköllner SPD-Bürgermeister, und Özcan Mutlu, den grünen Abgeordneten, hat man bei der „Boje Buck Produktion“ eigens einen Kinosaal reserviert, damit sie den Film schon vorher begutachten können. Die beiden Politiker sitzen hier, weil sie diskutieren sollen: über Fiktion und Realität, Multikulti und Integration und über Problemkieze. Doch als der Abspann über die Leinwand läuft, sind beide ganz still: „Ein sehr beklemmender Film“, sagen sie und dann lassen dann die Geschichte von Michael noch einmal Revue passieren…

Michael ist 15. Er lebt mit seiner Mutter bei ihrem Liebhaber in einer Zehlendorfer Villa. Als Dr. Peters beide vor die Tür setzt, verschlägt es sie nach Neukölln und damit wird Michaels Leben zur Hölle: Eine türkische Gang erpresst den Jungen, die Messer sitzen locker und in einer Tiefgarage entwickeln sich Michaels Feinde zu Folterknechten mit Baseballschläger. Verzweifelt schreit Michael seine Mutter an: „Wann holst du uns hier raus?“ Er meint Neukölln.

Buschkowsky: Endstation Neukölln – das ist das Label, das dem Bezirk schon 1997 vom „Spiegel“ angeklebt wurde. Mitte hat das Label Regierungsviertel und Kreuzberg hat das Label der Multikulti-Welt, obwohl es da in einigen Ecken viel schlimmer zugeht. Sicher ist das für mich als Bezirksbürgermeister nicht gerade schön. Aber ich sage Ihnen, warum es sich anbietet, „Knallhart“ in Neukölln spielen zu lassen: In Essen kommen auf 1000 Einwohner 67 Bedarfsgemeinschaften nach Hartz IV. In Hamburg sind es 63. In Neukölln aber sind es 137 – einsame Spitze in ganz Deutschland! Ansonsten ist „Knallhart“ aber kein Film über Neukölln, sondern über ein bestimmtes Milieu. Er könnte auch in Hamburg oder Duisburg spielen. Dieses Milieu gibt es in Neukölln, und der Film schildert es realistisch.

Mutlu: Wo wohnen Sie eigentlich?

Buschkowsky 200 Meter neben der Gropiusstadt, aber …

Mutlu: …Sie fahren wahrscheinlich mit Ihrem Dienstwagen zu Ihrer Behörde und zurück. Aber ich bin in Kreuzberg aufgewachsen und oft in Neukölln unterwegs. Sicher ist die Jugendgewalt ein großes Problem, aber in dem Film wird schon eine gewisse Schwarz-Weiß-Malerei betrieben. Wenn ich die Karl-Marx-Straße runterlaufe oder in der Sonnenallee bin, dann sehe ich keine Banden, die in einer Ecke Jugendliche zusammenschlagen. Ist mir noch nie passiert! Und ich laufe mit offenen Augen rum. Sie müssen da gar nicht lachen!

Buschkowsky (grinsend): Wenn ich im Café Götterspeise sitze, habe ich auch keine Angst, dass jemand mit einer Maschinenpistole um sich schießt. Natürlich kann man hundert Mal über die Karl-Marx-Straße gehen, ohne dass die Geldbörse geklaut wird. Aber hier wird eine Jugendszene beschrieben. Reden Sie doch mal mit jungen Menschen in Neukölln. Das, was der Film zeigt, ist authentisch. Das können Sie sehen, wenn junge Leute in der Richardstraße aufeinander prallen und sich mit Kneipenstühlen über die Schädel hauen. Wenn sich die Jugendlichen auf den Straßen abziehen. Das findet auf den Straßen alles statt.

Mutlu: Das nennt man self-fulfilling prophecy, was Sie da machen. Wenn man immer so schwarz malt, wird es auch irgendwann pechschwarz. Aber noch sehen die Realitäten glücklicherweise anders aus. Auf diese Art und Weise machen Sie nur Ihren Bezirk kaputt.

Staunend blickt sich Michael in seiner Klasse um: Ausländische Schüler pöbeln, andere tragen scharfe Munition mit sich herum und wer beim Unterricht mitmacht, hat verloren. Nachdem ihm die Gang Handy, Turnschuhe und Bargeld abgenommen hat, gerät er in eine Spirale aus Kriminalität und Gewalt.

Buschkowsky: Das ist das einzige Klischee, was ich in den Film gesehen habe, was ich kritisch diskutieren würde: Deutscher Junge wird aus Zehlendorf vertrieben und gerät in Neukölln in die Gewalt von Ausländern. Aber dass es dieses Milieu, das der Film zeigt, gibt, ist keine Frage. Dass junge Menschen zu Opfern der Gewalt werden, ihr hilflos gegenüberstehen und versuchen, dieser Situation auf welche Art auch immer zu entrinnen, ist kein Klischee.

Mutlu: „Knallhart“ ist ja wohl eher eine fiktive und keine biografische Geschichte. Auch, wenn der Film viele Szenen zeigt, die sich so sicherlich in Neukölln und auch anderswo abspielen könnten. Aber auch die polizeiliche Kriminalstatistik spricht da eine andere Sprache: Jugendgewalt ist rückläufig.

Buschkowsky: Das erinnert mich an „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Damals gab ja auch riesige Debatten, ob das nicht alles zu klischeehaft ist und überzeichnet. Weil es keiner wahrhaben wollte. Diese Probleme stören den Glamour, die stören die bunte Reklame und die Harmonie der Landespolitik.

Mutlu: Schieben Sie doch mal das Positive nach vorne! Zeigen Sie, was getan werden kann, anstatt nur zu jammern. Zum Beispiel gibt es Schulen, die mit Empowerment sich vor dem Kippen bewahren, wie die Spreewaldgrundschule im Pallasviertel mit ihrem Theaterprojekt. Oder gehen Sie mal zum Jugendzentrum in der Kreuzberger Naunynstraße: Das ist kein Drogenumschlagplatz, da gibt es keine Gewaltszene. Filmemacher wie Neco Celik oder Erhan Emre, der in dem Film den Hamal spielt, haben hier ihre ersten Schritte gemacht, Tänzer, Musiker…

Michael lernt schnell, wie es im Kiez zugeht: Beim türkischen Barbier und beim Pizza-Lieferservice werden Drogengeschäfte abgewickelt. Beim Trödler treffen sich die Hehler, in der Hasenheide die Dealer. In der U-Bahn fallen die Besoffenen in den Gang. Und zu Hause erklärt ein neuer Liebhaber der Mutter, der ebenfalls auf Neuköllns Straßen aufgewachsen ist, und dem 15-Jährigen, wie man einen Totschläger richtig einsetzt…

Buschkowsky: Sicherlich ist da dramaturgisch etwas aufgemuskelt worden, aber realitätsfern ist der Film sicherlich nicht. Und wenn wir jetzt nicht gegensteuern, geht der Trend weiter: Die bildungsorientierten Mittelschichten – und zwar jeder Ethnie – werden diese Quartiere weiter in Scharen verlassen. Und damit wird der Boden bereitet für solche Kulturen der Bildungsferne. Die Entmischung der Bevölkerung in diesen Gebieten ist ihr Tod. Asoziale, Kriminelle, Fanatiker – das gibt’s in jeder Community. Das Problem entsteht, wenn sich dieser Bevölkerungsanteil zu einer Monokultur entwickelt.

Mutlu: Was tun Sie als Bürgermeister, um diese Milieus aufzubrechen?

Buschkowsky: Die Bezirke haben nicht die Möglichkeit auf die Klassengröße Einfluss zu nehmen, auf die Ausstattung der Schulen. Wir können nicht Pflichtuntersuchungen ab dem vierten Lebensjahr zur Pflicht machen. Wir können nicht auf Elternbeiträge in Kitas verzichten. Das sind Angelegenheiten der Landespolitik. Aber so lange Abgeordnete wie Sie das Ganze herunterspielen und das Gute im Menschen suchen, wird sich nichts ändern.

Mutlu: In diesem Punkt haben Sie Recht: In der Bildungspolitik wurden und werden die meisten Fehler gemacht. Man muss überlegen, wie man Jugendlichen wieder mehr Selbstvertrauen und eine Zukunft gibt. Aber in Berlin passiert das Gegenteil: Jugendfreizeithäuser werden geschlossen, in der Jugendhilfe wird gekürzt, Schulen sind miserabel ausgestattet… Diese Kinder, die wir in dem Film sehen, haben sich nicht nur selbst aufgegeben, sie sind auch aufgegeben worden: von der Familie, von den Lehrern, von den Institutionen. Was Not tut, ist eine Bildungsoffensive für Kinder mit Migrationshintergrund und für Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern.

Michael macht eine ganz andere Karriere. Weil er einen so unbedarften Eindruck macht, „ein ehrliches Gesicht“ hat, wird er vom Drogenboss im Kiez angeheuert. Für seine Kurierdienste stellt ihn der Dealer Hamal unter seinen persönlichen Schutz. Doch es geht nicht lange gut.

Buschkowsky: Ich habe immer überlegt: Wie kann sich der Jugendliche aus dieser Situation befreien? Der Film verzichtet auf ein Happyend, das ist gut so. Realpolitiker haben die Zustände, die wir heute haben, bereits vor einem Jahrzehnt vorhergesagt. Das wurde als Panikmache abgetan. Nach den Ausschreitungen in Paris habe ich gesagt: Das ist der Blick ins Schlüsselloch, in unsere Zukunft, wenn wir so weitermachen.

Mutlu: So kommen wir doch nicht weiter. Wir brauchen vielmehr eine Kultur des Willkommens. Wir zeigen immer nur mit dem Zeigefinger, anstatt die Arme zu öffnen. Sie als Bezirksbürgermeister sollten darüber froh sein, dass Araber und Türken in der Sonnenallee ihre Geschäfte eröffnen. Aber Sie stellen sich hin und sagen: „Ich fühle mich wie in Beirut.“ Das ist Gift für die Integrationsdebatte! Die Sonnenallee ist am Leben, die Araber und Türken haben diesen Kiez aufrechterhalten und Arbeitsplätze geschaffen. Wenn Sie das mal herausheben würden, klänge ganz anders, das klänge wie Musik, wie Honig.

Buschkowsky: Sozialromantiker aller Länder vereinigt euch! Herr Mutlu, ich gönne Ihnen ja Ihre Bunkermentalität und Ihre Durchalteparolen. Aber selbst nach Aussagen des Türkischen Bundes gehören 70 Prozent der Migranten der untersten gesellschaftlichen Schicht an.

Mutlu: Was soll das denn jetzt schon wieder heißen?

Buschkowsky: Wir haben es zu einem großen Teil mit Menschen zu tun, die nicht in der Lage sind, ihre Kinder in eine Gesellschaft Mitteleuropas zu begleiten, weil sie selbst das Werkzeug nicht haben. Diese Defizite muss die Gesellschaft versuchen auszugleichen. Wo es an Einsichtsfähigkeit oder Einsichtswilligkeit mangelt, muss eine Gesellschaft in der Lage sein, notfalls mit der Androhung von Sanktionen Dinge einzufordern.

Mutlu: Das sind doch zum großen Teil gescheiterte Bildungsbiografien. Sie haben das deutsche Bildungssystem am eigenen Leibe genossen und die Hoffnung verloren. Die zweite Generation, die sieht keine Perspektive und das ist bedauerlich. Die haben keinen Ausbildungsplatz oder keinen Job gefunden. Sie brauchen gezielte Sprachfördermaßnahmen und wir brauchen mehr Investition in die Bildung.

Als Michael das erste Mal zusammengeschlagen wird, sitzt er in einer Ecke und heult wie ein Schlosshund. Dass es scheinbar kein Entrinnen gibt, merkt der 15-Jährige, nachdem er auf die Polizeiwache zu einer Zeugenaussage bestellt worden ist. Gleich danach wird er erneut von seinen Peinigern gestellt.

Buschkowsky: Wenn Ihr Kind so zusammengeschlagen werden würde wie in diesem Film, würden Sie mit Ihrem Kind zur Polizei gehen?

Mutlu: Klar.

Buschkowsky: Auch auf die Gefahr hin, dass ihr Kind dann noch schlimmer malträtiert wird als vorher?

Mutlu: Sicher, ich muss doch meinem Sohn zeigen, wie er sich richtig verhält. Wenn ich diese Gewalt akzeptiere, mich ducke, wird ihm vermittelt: Ich muss mich immer klein machen. Dieses Gefühl darf er nicht kriegen. Man muss sich vor die Leute hinstellen und sagen: So geht das nicht! Der Leiter im Jugendfreizeitheim Naunynritze hat doch deshalb so viel Erfolg, weil klarstellt: Hier sind die Grenzen! Deshalb funktioniert sein Jugendfreizeitheim sehr gut.

Buschkowsky: Was macht er denn mit denen?

Mutlu: Die lässt er zum Beispiel gar nicht mehr rein.

Buschkowsky (lacht): Das sind ja Sanktionen! Um Gottes willen!

Mutlu: Nein, nein, die lässt er nur als ersten Schritt nicht rein. Dann sagt er: Setzt euch hin, redet über die Konflikte. Und dann nehmen die das Angebot an.

Buschkowsky: Der Leiter sagt völlig zu Recht: Wir haben hier Spielregeln. Und wer die nicht respektiert, kann nicht mitspielen. Das gilt für eine Gesellschaft doch auch, Herr Mutlu!

Mutlu: Das ist doch etwas ganz anderes, Herr Buschkowsky!

Buschkowsky: Das gilt genau wie für Ihren Sohn, dem Sie das sehr vorbildlich und schneidig beibringen! Ich bin ja richtig begeistert, ich bin ja auf dem Weg ein Fan von Ihnen zu werden!

Mutlu (lacht): Hören wir auf, sonst machen Sie Ihre Drohung noch wahr!

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