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Macht der Stock jemanden schon zum "Greis"?

© Oliver Berg/dpa

Kolumne "Sonntagsfragen": Ab wann darf man jemanden "Greis" nennen?

Ist man mit 66 schon ein Greis – oder ist die Bezeichnung einfach nur unhöflich? Unsere Kolumnistin weiß die Antwort.

"Ab welchem Alter darf man eine Frau als Greisin bezeichnen? Ich hatte über eine „Greisin“ gelesen und mir eine faltige Person mit grauen Haaren vorgestellt. Am Ende kam heraus, dass die Frau 66 Jahre alt war! Das fand ich diskriminierend und verächtlich. Obwohl ich im selben Alter bin, würde ich mich nie so bezeichnen, ich gehe ins Fitnessstudio, fahre täglich Rad, verreise gern und regelmäßig." - fragt Sandra

Eine vitale Frau im jüngeren Seniorenalter als Greisin zu bezeichnen, ist tatsächlich ziemlich unfreundlich. Unter Umständen könnte das Wort ironisch verwendet worden sein, aber sicher nicht als Abbild einer Realität. Das Wort Greis bezeichnet die sichtbar allerletzte Lebensphase. Es hat zudem tendenziell einen negativen Beiklang bekommen. Kombinationen wie „Tattergreis“, „Lustgreis“ oder „Sabbergreis“ sprechen schon Bände.

Die Bezeichnung Greis oder Greisin hat nicht allein mit Alter zu tun, sondern auch mit der Schwere der jeweiligen Folgeerscheinungen, wie Gebrechlichkeit, Krankheit, Zahnlosigkeit, fragiles Erscheinungsbild. Längst kann man das Alter optisch weit hinauszögern, weshalb Greise gar nicht mehr ständig vorkommen im öffentlichen Erscheinungsbild.

Ein Friseur mit ausreichend großem Farbenreservoir, ein vernünftiger Zahnarzt mit professionellem Ersatzteillager und entsprechende Kleidung können Menschen auch weit jenseits der 80 noch attraktiv und jugendlich erscheinen lassen, wenn sie gesund sind und sich halbwegs fit gehalten haben. Wer heute den Greisenstatus erreicht, ist oft schon so angeschlagen, dass er in der Öffentlichkeit nicht mehr unbedingt in Erscheinung tritt. Schwere Krankheiten wie Demenz oder Parkinson befördern die Greiswerdung unter Umständen auch schon mal diesseits der 80.

Sehr alte Männer sind vielleicht noch am ehesten bereit, mit schütterem weißen Haar, ungeschminkten Falten und Stock oder Rollator sich als dem Greisenalter nahe zu offenbaren. Frauen tun sich schwerer damit. Wenn man eine Frau wie Sie als „Greisin“ bezeichnet, dann wird der Ausdruck vermutlich wirklich als Schimpfwort benutzt. Solange Sie sich in Sneakern oder sogar Pumps noch wohlfühlen, brauchen Sie sich den greisen Schuh auf keinen Fall anzuziehen.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, „Immer wieder sonntags“, 10876 Berlin) oder mailen Sie diese an: meinefrage@tagesspiegel.de

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