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Kommentar: 1. Mai in Berlin: Ein guter Tag

Es gab Bilder an diesem 1. Mai, die werden viele Menschen nicht vergessen. Vor allem Neonazis und ihre Gegner nicht. Warum dieser 1. Mai ein guter Tag für Berlin und für Deutschland war.

Von Frank Jansen

An zahlreichen Balkonen der Bornholmer Straße in Berlin flatterten Transparente mit Anti-Nazi-Parolen, dahinter standen Bewohner und lärmten mit Kochlöffeln, wie man es von großen, volkszornigen Aktionen in Südamerika kennt. Bürger kamen aus den Haustüren und schmähten die marschierenden Rechtsextremisten. In den Seitenstraßen, abgesperrt von der Polizei, ballten sich Linke und andere Nazigegner, auch von hier dröhnte Protest zum Aufzug der jungdumpfen Braunen hinüber. Prominente Politiker, an ihrer Spitze Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, setzten sich auf den Asphalt und hielten die Fanatiker auf, immerhin fast eine halbe Stunde. Kurz darauf ging es für die genervten Neonazis gar nicht mehr weiter, tausende Berliner blockierten die Route. Der 1. Mai 2010 war ein guter Tag für die Stadt. Und für Deutschland.

Die Republik ändert sich. Am 13. Februar war es schon zu ahnen, als in Dresden zahllose Nazigegner den Marsch von mehr als 6000 Rechtsextremisten friedlich verhinderten. Am Maifeiertag dann war der politische und mentale Klimawandel noch stärker zu spüren. Wo sonst meist nur von Randale erlebnisorientierter Biertrinker und fanatisierter Junganarchisten die Rede war, vor allem in Berlin, ist jetzt ein Sieg der Demokratie zu feiern. Genauso in Rostock, in Erfurt, in Solingen und weiteren Städten, wo sich Demokraten und Linksradikale den Rechtsextremisten an diesem Tag entgegenstellten. Auch in Hoyerswerda, dessen Ruf irreparabal geschädigt zu sein schien, seitdem vor fast 19 Jahren ein Bürgermob in einem Anfall ethnischer Säuberungswut Flüchtlinge aus der Stadt jagte. An diesem 1. Mai zeigte das bessere, das demokratische Hoyerswerda sein Gesicht gegen die hereinmarschierenden Neonazis. Erwähnt werden muss außerdem Magdeburg, wo sich am Sonnabend 10.000 Menschen zur beschämten Erinnerung an die rassistischen Krawalle am Himmelfahrtstag 1994 versammelten. Damals wurde die Schande noch von Politikern und Polizei verharmlost. Das wäre heute zumindest in Magdeburg und jenen Kommunen, in denen am 1. Mai gegen rassistische Hassprediger demonstriert wurde, kaum noch denkbar.

Die Bilder dieses Feiertags werden glücklicherweise nur punktuell von der rituellen Randale junger Linksextremisten – und vereinzelten Polizeiübergriffen – verschattet. In Hamburg, wo keine Neonazis herumzogen, krachte es dennoch heftig. Die Hansestadt findet offenbar kein Konzept, den Furor der Autonomen zu dämpfen. In Berlin ist das diesmal gelungen. Nach den überraschend starken Krawallen im vergangenen Jahr in Kreuzberg haben nun eine kluge Polizeitaktik und Ansätze taktischer Vernunft bei radikalen Linken ineinandergegriffen. Die Beamten waren an potenziellen Epizentren so massiv präsent, dass sich Randalierer kein Schlachtfeld einrichten konnten. Außerdem zeigte sich erstaunlicherweise nur eine Minderheit der linken Schwarzjacken zum Straßenkampf bereit. Und dann ließen es auch viele Ballermänner, die mit den Bierdosen, bleiben.

Die Warnungen vor einem ultraharten 1. Mai, die Politiker und Sicherheitsexperten in den Tagen zuvor geäußert hatten, waren dennoch berechtigt. Im nächsten Jahr könnte gerade in Berlin, nur Monate vor der Wahl, der Krawallpegel wieder deutlich steigen. Aber die friedlich laute Bürgerwut gegen Nazis, die wird wohl auch nicht mehr weniger.

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