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Neue Köpfe, alte Themen: Am Donnerstag hat sich Berlins frisch gewähltes Abgeordnetenhaus konstituiert.

© dpa/ Michael Kappeler

Konstituierende Sitzung des Parlaments: Eisige Stimmung - nur einer plaudert

Das Abgeordnetenhaus kam am Donnerstag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Die Abgeordneten der anderen Parteien gingen den AfD-Parlamentariern aus dem Weg. Nur einer hielt Smalltalk.

Der erste Versuch, sich kritisch mit der AfD auseinanderzusetzen, geht schon mal schief. Um 10.30 Uhr, eine halbe Stunde vor Sitzungsbeginn, versucht der Grünen-Abgeordnete Turgut Altug, ein Protestplakat aus Pappe in den Saal des Abgeordnetenhauses zu schmuggeln. "Willkommen bei den Gutmenschen" steht drauf, das will er später den Neuen entgegenhalten. Altug scheitert weit vor der Eingangstür. "Was soll denn das", fragt die Saaldienerin und nimmt ihm die Pappe ab. Na gut, sagt Turgut Altug, vielleicht hätte er es besser mit einem ausrollbaren Stoffstreifen probiert.

Nicht nur für die 24 Mitglieder der AfD-Fraktion ist die konstituierende Sitzung am Donnerstag eine Premiere. Da sind auch 135 Abgeordnete, die für sich klären müssen: Wie umgehen mit den Rechtspopulisten? Meiden, konfrontieren? Begrenzt zusammenarbeiten?
Interne Vorgespräche der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass innerhalb jeder Fraktion unterschiedliche Auffassungen darüber existieren, wie der AfD am besten beizukommen sei. Die einen wollen ihr so offensiv wie möglich entgegentreten. Die anderen fürchten, die Neuen könnten sich bei zu viel Druck als Opfer inszenieren – als diejenigen, die von den Etablierten ausgegrenzt werden.

AfD sitzt von Plenum aus gesehen rechts außen

Als die AfD-Fraktion an diesem Donnerstag kurz vor Sitzungsbeginn den Saal betritt und die Abgeordneten ihre Plätze beziehen, spricht keiner mit ihnen. Die Neuen bleiben unter sich, bekommen aber viele Blicke aus dem Halbrund ab. Überhaupt die Sitzordnung. Vom Präsidiumspult aus gesehen ganz rechts kommt, na klar, die AfD. Dem politischen Spektrum entsprechend müssten daneben eigentlich, so hätte es die FPD gern gehabt, die Christdemokraten kommen. Weil die sich im Wahlkampf so weit rechts positioniert hätten. Die CDU ist von dem Vorschlag nicht begeistert, deshalb sind jetzt die Liberalen für fünf Jahre die Nachbarn der AfD.

Es wirkt, als stünden sich da zwei geschlossene Blöcke gegenüber. Abwartend, sich beäugend. Eine Fraktion gegen fünf. Weit entfernt vom Politiknormalbetrieb. Ein paar Mal wird im Plenum gelacht. Als ein AfD-Mann bei der Frage nach seiner Anwesenheit energisch aufspringt und etwas zu laut "Jawoll" ruft. Ganz so, als wäre er beim Exerzieren. Und etwas später, als AfDler Marc Vallander von den Politiker-Brüdern "Sebastian Tschasa und Mario Tschasa" spricht. Heiteres Raunen, Schenkel werden geklopft. Aber bringt es etwas, sich über die Neuen lustig zu machen?

Der erste im Saal, der die Isolation aufbricht, ist der glücklose CDU-Spitzenkandidat und Gerade-Noch-Innensenator Frank Henkel. Nach einer Stunde geht er auf den Weddinger AfD-Abgeordneten Stefan Kerker zu. Der war früher in der CDU, beide dürften sich auch aus der Studentenverbindung "Sängerschaft Borussia" kennen. Eine halbe Minute lang scherzen sie, Henkel klopft Kerker auf die Schulter, dann Abgang. Andere aus der CDU, aber auch von SPD und Grünen, sagen später: Der Henkel habe es richtig gemacht. Man solle bloß nicht so tun, als wären sämtliche AfDler Nazis. Als hätten einige von denen, die sich der neuen Partei angeschlossen haben, nicht vorher in der CDU, der FDP, auch der SPD mitgemacht.

AfD stimmt gegen die Geschäftsordnung

Als die jüngsten Abgeordneten nach vorn gerufen werden und sich June Tomiak, 19 Jahre alte Grüne, aufs Podium setzt, ist sie kurz irritiert. Irgendwas mit den Papierstapeln oder der Technik. Ausgerechnet Herbert Mohr, auch erst 27 und jüngster AfD-Mann, hilft ihr. Da müssen beide schmunzeln. Doch in der ersten Abstimmung über die neue Geschäftsordnung sind die Fronten klar. SPD, CDU, Linke, Grüne und FDP stimmen für ihren gemeinsamen Vorschlag. Die AfD bleibt allein. Sie wollte durchsetzen, dass in Ausschüssen künftig der Wille einer einzelnen Fraktion ausreicht, um ein Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Der Vorschlag hat an diesem Tag keine Chance.

Dann die Präsidiumswahl. Ralf Wieland von der SPD wird wie erwartet mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt, auch seine Stellvertreter kommen durch. Nach dem Verteilungsschlüssel hat die AfD Anrecht auf zwei Beisitzer, über die jedoch ebenfalls abgestimmt werden muss. Als einen Kandidaten schlägt die AfD ausgerechnet Hans-Joachim Berg vor. Er wird zum rechten Flügel seiner Partei gezählt, gilt als Vertrauter vom Thüringer Rechtsaußen Björn Höcke. Die AfD ließ vorab verlauten, man rechne mit einer "Klatsche" durch die Etablierten. Dass die Berg also durchfallen lassen. Nach Lesart der AfD wäre das höchst undemokratisch.

Die andere Seite wittert eine Falle. Mit Bergs Nominierung wolle die AfD erzwingen, dass ihr Mann nicht gewählt werde, spekuliert ein SPD-Abgeordneter. "Dann hätten sie ihre Märtyrer-Rolle. Keine Sorge, den Gefallen tun wir ihnen nicht." Tatsächlich enthalten sich Linke, Grüne, SPD – und AfD-Mann Hans-Joachim Berg wird gewählt.

Zwischen Senatschef Michael Müller und SPD-Fraktionschef Raed Saleh ist die Stimmung eigentlich gerade eisig, fürs Foto aber demonstrierten sie gute Laune.
Zwischen Senatschef Michael Müller und SPD-Fraktionschef Raed Saleh ist die Stimmung eigentlich gerade eisig, fürs Foto aber demonstrierten sie gute Laune.

© dpa

Abgeordnete würden auch mal mit der AfD stimmen

Unter der Hand sagt ein langjähriger Parlamentarier, es werde noch schmerzhafte Situationen geben. Denn wer die Ankündigung ernst meine, dass er die AfD inhaltlich bekämpfen und deren Forderungen als dumpfe Polemik entlarven wolle, der müsse im Zweifelsfall auch mal mit ihnen stimmen, wenn die Neuen – und sei es aus taktischen Gründen – einen objektiv guten Vorschlag einbrächten. "Die Bredouille wird es geben, da kommen wir nicht drumherum." An diesem Tag schon.

In der letzten Reihe, gleich neben der AfD, sitzt am Einzeltisch Kay Nerstheimer. Der Mann, der für die Rechtspopulisten in Lichtenberg ein Direktmandat gewonnen hat und über den dann bekannt wurde, dass er syrische Flüchtlinge als "widerliches Gewürm", Asylbewerber als "Parasiten" und Homosexuelle als "degeneriert2 bezeichnet hatte. Das war auch seinen Parteifreunden zu viel, deshalb ist Nerstheimer nun der einzige Fraktionslose im Parlament. Merkt man bloß kaum. Er stimmt für alle AfD-Anträge, beklatscht deren Redner, scherzt mit ihnen. "Der Mann", sagt AfD-Sprecher Ronald Gläser, "hat ja nicht die Pest."

Jemand, der weiß, wie es ist, als Neuling im Plenum zu sitzen, ist Martin Delius. Heute 32 Jahre alt, zog er 2011 völlig überraschend mit den Piraten ins Abgeordnetenhaus ein. Nun, eine Legislatur später, ist Delius bei den Piraten lange wieder aus- und bei den Linken eingetreten. Delius – Kinnbart, Kapuzenpulli, Sakko – hat den BER-Untersuchungsausschuss so geleitet, dass er über Berlin hinaus bekannt wurde. Auf den Fluren des Parlaments schüttelt er an diesem Donnerstag alle 30 Meter jemandem die Hand – fraktionsübergreifend, man kennt sich.

"So voll ist der Plenarsaal nur am Anfang"

Bei der AfD wird Delius ernst. Im Wahlkampf nannte er sie Faschisten. Jetzt sagt er abgeklärt: „Linke und Grüne haben uns 2011 nicht so frostig empfangen wie CDU und FDP heute die AfD.“ Die Büros der Piraten unter dem Dach sind schon leer. Delius wickelt die Fraktion ab, danach schaut er sich nach einem Job um, auf eine Kandidatur für die Linke hat er verzichtet. Wollte Delius nun im Saal dabei sein, müsste der Gerade-Nicht-Mehr-Abgeordnete auf die Besuchertribüne. Auf den Plätzen der Piraten im Plenum sitzt jetzt die AfD.
Die Sitzung wird live übertragen, Delius geht in den Fernsehraum der Linken, ebenfalls oben, fast unter dem Dach des Hauses. "So voll ist der Plenarsaal nur am Anfang", sagt der Ex-Pirat. "Das legt sich mit der Zeit.“ Die Arbeit an Gesetzen und Verordnungen findet in den Fachausschüssen statt. Und der Abgeordnetenalltag, nun ja, macht müde. Delius weiß das. Er sagt, er glaube nicht, dass es der AfD gelingen werde, jedes Thema für ihre Gesinnungspolitik zu nutzen. Auch ein geschlossener, rechter Oppositionsblock aus CDU, FDP und AfD drohe wohl kaum. Und dann sagt Delius, der Parlamentsalltag sei stärker als die AfD.

Auf die Piraten hat der Politikbetrieb schließlich ebenfalls stetig eingewirkt, heute sind sie Geschichte. Ob die AfD-Fraktion die fünf Jahre durchhält? Delius spekuliert lieber nicht. Plötzlich steht Klaus Lederer da, die erste Sitzungspause läuft, er will sich einen Kaffee holen. Lederer ist Linken-Landeschef, Stichwortgeber für Rot-Rot-Grün, womöglich bald Kultursenator. Und, ist es so anders als sonst? Er habe noch die Stahlhelm-Fraktion der CDU erlebt, auch den nationalliberalen Flügel der FDP, sagt Lederer. Schlimmer sei die AfD letztlich nicht.

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