zum Hauptinhalt

Ostbezirke nach der Wende: Kontrastprogramm

Köpenick vereint beides: das gut bürgerliche Herz und den Geist des Aufbruchs. Zwei Bäcker pflegen die Tradition, eine Kinobetreiberin knüpft die Netzwerke.

Blitzblank und anheimelnd sieht die Backstube aus. Ein zartes Vanillearoma hängt in der Luft. Und am weißen Wams des Bäckermeisters blinkt die „Goldene Brezel“, das Qualitätssiegel der Bäckerinnung. Die Dresdner Feinbäckerei hat sie gerade wieder verliehen bekommen. „Opa kommt gleich“, sagt Rainer Schwadtke, 41, und rückt Bleche mit Kokosmakronen und Sandgebäck. „Opa“ ist der Altgeselle, seit 1950 im Betrieb und die Seele des Ganzen.

Da kommt Gerhard Grams, 75, auch schon. Ehefrau Ursula will lieber draußen warten, aber der leutselige Meister Schwadtke findet, das kommt nicht infrage und schiebt flott ihren Rollstuhl rein. Der Altgeselle und seine Angetraute – sie ist gelernte Bäckereiverkäuferin – haben sich hier vor mehr als 50 Jahren kennengelernt. Und obwohl Gerhard Grams längst Rentner ist, kommt er täglich am frühen Morgen zum Helfen vorbei, und sonntags setzt er den Sauerteig an. Die Dresdner Feinbäckerei ist eine Institution in Friedrichshagen. 101 Jahre gibt es den Handwerksbetrieb in der heute hübsch sanierten Bölschestraße, die so etwas ist wie die Promenade zum Müggelsee, früher „Ku’damm des Ostens“ genannt. Hier schlägt das gutbürgerliche Herz von Köpenick. Boutiquen, Chocolatiers, Cafés, Weinhandlungen, Buchläden – fast wie in Zehlendorf. Und dazu die prachtvolle Tradition als Künstlerkolonie und Kurort.

„Hier ist Leben, hier ist Geld. War immer so, auch zu DDR-Zeiten“, sagt der Bäckermeister. Dagegen sei die schöne Köpenicker Altstadt tot. Selbst der wortkarge Altgeselle Grams schwärmt von Friedrichshagen: „Wir haben Österreich und das Wasser zugleich vor der Tür.“ Österreich? „Klar, die Müggelberge!“

Die Bölschestraße vor der Wende: „Kahl und grau, aber trotzdem tobte das Leben – wegen der vielen kleinen Handwerksbetriebe, die inzwischen verschwunden sind“, erzählt Rainer Schwadtke. Seit 1995 steht er hier auch um Mitternacht in der Backstube. Der gebürtige Zeuthener ist einer, der sich engagiert in Friedrichshagen. Das erzählt die Vorsitzende des Bürgervereins. „Immer da, wenn man ihn braucht.“ Sich in seinem Kiez wohlzufühlen und sich für ihn einzusetzen ist für Bäckermeister Schwadtke eins. Genau wie traditionelles Backen und die Familie, zu der er eindeutig auch die 25 Mitarbeiter zählt.

„Kindern und Alten musste was geben“, ist des Bäckers Motto. Also unterstützt Schwadtke jene unter Zwanzig und über Sechzig. Er stiftet Kuchen für den Seniorenkaffee der Kirche, für den Seniorenvormittag im Kino Union, wo es für drei Euro Film, Kaffee und Kuchen gibt. Kita-Gruppen und Schüler lernen beim kostenlosen Kinderbacken in seiner Backstube das Bäckerhandwerk kennen. Auch die Lesungen der Johannes-Bobrowski-Gesellschaft und zahllose Feste werden vom Bäckermeister nahrhaft gestaltet. Es muss ja nicht immer Geld sein, sagt Schwadtke. Naturalien helfen oft viel mehr. Und dann kommt wieder eine seiner Überzeugungen: „Brot soll man teilen und nicht alleine essen.“

Geld gibt der Bäcker trotzdem: für das Kulturfestival „Friedrichshagen Dichterdran“, das er vor drei Jahren mit aus der Taufe gehoben hat. Oder für die Rückkehr der Statue des Alten Fritz auf den Marktplatz. Er will erhalten, was Friedrichshagen an Schönem besitzt und den Ortsteil auch für die vielen neu zuziehenden Familien lebenswert machen, sagt er. „Ringsum stimmt alles, das Sozialverhalten der Leute ist Eins A, und abends um zehn findet man auch noch ’ne offene Kneipe.“

Nur um die kleinen Geschäfte sorgt er sich. Die Gegend ist attraktiv geworden, da klettern die Mieten. Altgeselle Gerhard Grams steht daneben und nickt. Dem Meister überlässt er gern das Reden. Aber er verrät, was er sich als Alteingesessener für Friedrichshagens Zukunft wünscht: „Es soll so bleiben wie es ist.“ Gunda Bartels

Janin Weller weiß genau, was aus Oberschöneweide werden soll. „Eine Kultgegend wie die Londoner Docks. Mit Wasser, Grün und genügend Arbeitsplätzen.“ Leute aus Mitte würden dann gerne sonntags einen Ausflug ins ehemalige Industriequartier machen, ist sie überzeugt. „Dann schippern sie mit dem Dampfer her, lassen sich durch Industriehallen führen, schauen sich eine Kunstausstellung an, gehen Essen und dampfen nach einem tollen Tag in Schöneweide wieder zurück.“

Und Kino muss nicht sein? „Na ja“, lacht Janin Weller, die am Ort seit 2003 das Kino Spreehöfe betreibt, „Kinogänger wären natürlich schön.“ Dass sie sie in ihrer Utopie vergessen hat, sagt viel über die 42-jährige Netzwerkerin aus. Denn Janin Weller will für ihren Kiez, eines der bedeutendsten historischen Industriequartiere Deutschlands, mehr erreichen. „Das Lichtspielhaus ist mein Job“, sagt sie, „aber die Standortpolitik für den kilometerlangen Industriegürtel vom Spreeknie bis zum Wilhelmstrand ist genauso wichtig.“ Jetzt kämpft sie also für eine Gegend, die sie als Kind als „trist, ölig und stinkend“ erlebt hat.

Sie hat Design studiert an der Kunsthochschule Weißensee und war dann sieben Jahre lang als Innenausstatterin von Kinos „von Bayern bis Kasachstan“ unterwegs. Das 1998 am Ende des Berliner Kinobaubooms in zwei Fabrikhallen gebaute Kino Spreehöfe mit seinen fünf Sälen, dem schicken Foyer und fast 1000 Plätzen hat sie auch ausgestattet. Damals hatte Janin Weller schon Geschmack am Projekt Spreehöfe gefunden. Doch dauerte es noch etwas, ehe sie sich entschied, zunächst bei der Immobilienverwaltung des Industriedenkmals mitzuarbeiten und dann das gerade im Absturz begriffene Kino zu übernehmen. „Die Hallen verrotten zu sehen, hätte meinem Vater und mir das Herz zerrissen“, sagt sie und erzählt dann, dass die Entwicklung Schöneweides das Lebenswerk ihres Vaters ist. Denn der war zu DDR-Zeiten technischer Direktor der Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke. Ein Traditionsbetrieb, genau wie AEG oder die Kabelwerke Oberspree. Ihr Engagement ist also Familientradition.

Das Kino Spreehöfe, wo Arthausfilme und Themenvormittage für Schulklassen laufen, floriert und war eben zum zweiten Mal Spielstätte des Kurzfilmsfestivals Oberschöneweide. Die gelben Backsteingebäude der Spreehöfe an der Wilhelminenhofstraße sind eine Art Stadtteilzentrum im über weite Strecken noch arg von Leerstand geplagten Ortsteil: Bowling-Bahn, Fitnessstudio, Restaurants, Supermärkte, Musikschule, Post, Kulturverein – alles drin.

Der 2004 von Janin Weller gegründete Förderverein will die Gewerbetreibenden vernetzen und auch den Kiez gestalten. Zusammen mit der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft, die in den nächsten Jahren 6000 Studenten nach Oberschöneweide bringt, hat sie ein Wegeleitsystem zur Industriehistorie erarbeitet und will mit anderen Schöneweidern einen durchgehenden Spree-Uferweg durchsetzen. „Engagierte und Kreative gibt's hier jede Menge“, sagt Janine Weller und erzählt, dass in der Kita ihrer Tochter fast alle Eltern im Quartiersrat Oberschöneweide mitmachen. Junge Familien zögen gerne her, weil es sich gut leben lasse: geräumige Wohnungen, Kinderbetreuung, die Spree, die Wuhlheide – Aufbruchstimmung im Kiez.

Was ihr nicht behagt? „Leute, die sich seit der Wende aufgegeben haben und nicht mehr mitarbeiten.“ Tausende Fabrikarbeitsplätze gingen in Schöneweide verloren. Und nur Firmen wie der Mikroprozessorhersteller Silicon Sensor halten erfolgreich dagegen. Ansonsten blüht in den einzigartigen Fabrikhallen der Jahrhundertwende allerlei Mischgewerbe und es halten sich die großen Ideen von Investoren, die Kunstschau-Hallen schaffen wollen. Janine Weller blickt mit blitzenden Augen in die Zukunft. „Die spannende Zeit fängt gerade an“, sagt sie. „In zwei Jahren ist hier Boomtown.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false