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Berlin: Krabbeln auf dem Brauhausberg

Der extrem seltene Heldbock-Käfer gefährdet eines der zentralen Bauprojekte in Potsdams Stadtmitte.

Potsdam - Es ist eines der wichtigsten Städtebauprojekte in Potsdam. Auf dem Brauhausberg sollen ein neues Sport- und Freizeitbad und 200 Wohnungen entstehen. Nun könnte ausgerechnet ein seltener Käfer die ambitionierten Pläne zu Fall bringen. Am vergangenen Wochenende stellte sich heraus: Dort soll der extrem seltene und streng geschützte Heldbock-Käfer (Cerambyx cerdo) – auch Großer Eichenbock genannt – leben.

Seit Jahren ringt die Stadt um den Bau eines neuen Bades auf dem Hang vor dem alten Landtagsgebäude. Erst im Frühjahr sprachen sich zwei Drittel der Potsdamer bei einer Bürgerbefragung für den zentralen Standort und gegen den Volkspark in Potsdams Norden aus. Es ist eines der Topthemen in der Stadtpolitik. An der Befragung nahmen mehr Bürger teil als bei der vergangenen Kommunalwahl 2008. Überdies ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt äußerst angespannt: Neubauten auch auf dem Brauhausberg werden in der schnell wachsenden Stadt, die im Boom-Ranking deutschlandweit einen Spitzenplatz belegt, dringend gebraucht.

Wie es mit dem Projekt nun weitergeht, ist völlig offen. Die Stadtverordneten wollten eigentlich Mitte September den Startschuss für einen städtebaulichen Wettbewerb geben, gefolgt von einem Realisierungswettbewerb. 23 Millionen Euro soll das Bad höchstens kosten. Baustart hätte im Dezember sein können. Läuft alles glatt, könnte das Bad im Oktober 2016 eröffnen.

So jedenfalls hatte es das Rathaus geplant. Von dort gibt es nun widersprüchliche Signale zum Heldbock-Käfer. Zunächst stellte die Stadt jegliche Bebauung auf dem Berg infrage: „Werden dort diese seltenen Tiere gefunden, müsste geprüft werden, ob dort Wohnungen und das Sport- und Freizeitbad gebaut werden dürfen“, sagte eine Sprecherin. Nach einer Umweltprüfung werde entschieden, „ob gebaut werden kann oder nicht“. Einen Tag später ruderte die Stadt zurück: 2011 sei mit dem Landesumweltamt eine Einigung erzielt worden, dass auf den Grünflächen hinter dem DDR-Schwimmbad, die erhalten bleiben sollen, keine Untersuchungen anzustellen seien. Für das Projekt sei „das mögliche Auffinden eines Heldbock-Käfers“ daher „in keiner Weise planungsrelevant“.

Das sieht das Landesumweltamt anders: Der Heldbock-Käfer sei in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) der Europäischen Union aufgeführt und somit streng geschützt. An der Erstellung des neuen Bebauungsplans für den Brauhausberg müsse das Amt beteiligt werden. Gegebenenfalls müsse über eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung verhandelt werden, sagte Behördensprecherin Doris Lorenz. Der Käfer sei in der Bundesrepublik in einem „schlechten Erhaltungszustand“ und in Brandenburg in einem „unzureichenden Erhaltungszustand“: Das Land stehe in der Pflicht, „Maßnahmen zu ergreifen, um den Erhaltungszustand zu verbessern“.

Nun werden Stimmen laut, die sich für den „Schutz des einzigartigen Biotops“ aussprechen. Zumal dort nach dem Großen Mausohr – eine Fledermaus – und dem Mittelspecht nun schon die dritte geschützte Art entdeckt wurde. Thomas Hintze von der Initiative Pro Brauhausberg, die zunächst für den Badneubau im Zentrum warb, sagte, der Berg müsse „als Innenstadt-Oase belassen werden“.

Der Heldbock ist „ein Riesenviech mit langen Antennen“, sagt der Chef-Entomologe des Naturschutzbundes (Nabu), Werner Schulze. Bei der Bestimmung könne man sich kaum vertun. Das Tier sei mehrfach geschützt; der Käfer stehe nicht nur einfach in der Bundesartenschutzverordnung, sondern sei dort „extra fett gedruckt“ – bei Verstößen „wäre das Strafmaß größer“. Besiedelte Bäume müssten „grundsätzlich stehen bleiben“. Etwas wehmütig ergänzte der Bielefelder Käferexperte: „In Nordrhein-Westfalen ist der Heldbock das letzte Mal vor 150 Jahren gefunden worden.“

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