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Kreuzberg und Mitte: Kübelsperren und Denkbarrieren

Wo nicht zusammenwächst, was zusammengehört: Zwischen Kreuzberg und Mitte gibt es 20 Jahre nach dem Mauerfall viele Grenzen.

Das Schild ist irgendwann dazugekommen, nachdem die Mauer weg war. „Gefahrenstelle“ steht drauf. Hier liegen zwar keine Minen vergraben, aber die unterm Schnee verborgenen Löcher, ausgebuddelt von streunenden Hunden, reichen tief genug für einen Schienbeinbruch. Eine riesige Brachfläche zwischen Mitte im Osten und Kreuzberg im Westen, mit Birken und Schafgarbe im Sommer. Hier ist nichts zusammengewachsen, was eigentlich zusammengehört.

Ein Spaziergang, 20 Jahre nach dem Mauerfall, an der sehr lebendigen Grenzlinie zwischen dem kreativ-neureichen Altbezirk Mitte und dem bodenständig-aufsässigen Kreuzberg. Beginnen wir an der Stallschreiberstraße, einem einspurigen Fahrweg, an dem die Bewohner weiterhin ihr Maueridyll genießen können. Vor 1989 sei es allerdings noch ruhiger gewesen, sagt eine ältere Dame. Und vor allem sicherer. Läden zum Einkaufen würden sie sich wünschen auf der großen Wiese, die mal Todesstreifen war. Sonst könne alles so bleiben, wie es ist.

Am Ende der Stallschreiberstraße knickt die Grenzlinie nach Osten ab. Vor dem Mauerbau war hier die Kreuzung zur Alexandrinenstraße, doch die ist immer noch halbseitig gesperrt und überwuchert. Der Rest ist Sackgasse. Zu Fuß kann man die Sebastianstraße erreichen, auch hier fahren keine Autos, weil die Einmündung zur Heinrich-Heine-Straße gesperrt ist. Ansonsten alles wie gehabt. Große Ex-Todesstreifen-Wiese, hinter hohen Gräsern duckt sich ein Lidl-Markt. Ein vermüllter Einkaufswagen steht am Rand, Jugendliche hocken auf Barrieren, die wildes Parken verhindern sollen. Sieht aus wie am Stadtrand von Hoyerswerda.

Warum passiert hier nichts? „Das hat mit komplizierten Eigentumsverhältnissen zu tun“, sagt der Stadtplaner Carl Herwarth von Bittenfeld, dessen Büro eine Entwicklungsstudie für das Gebiet vorbereitet. Ein weiterer Grund sei die schlechte Infrastruktur – keine vernünftigen Straßen, Schulen und Kitas. „Es gibt erheblichen Aufwertungsbedarf.“ Bisher seien kaum Gelder in diese Gegend geflossen. Ein Beispiel dafür ist der Alfred-Döblin-Platz, den kaum jemand kennt. Ein großer Name für ein mickriges Grün-Dreieck mit Bäumen und Sträuchern. Die angrenzende Dresdener Straße ist mit Baumgerippen in Pflanzkübeln durchtrennt, ein vergessenes Provisorium, „nicht mehr vertretbar“, findet der Planer.

Bisher gibt es auf der Ostseite, also in Mitte, eher Ankündigungen von teuren Lofts, Penthouses, Maisonetten und Tiefgaragen, die hier mal entstehen sollen, direkt gegenüber den schlichten Sozialbauten auf der Westseite in Kreuzberg. An der Waldemarstraße/Luckauer Straße steht ein neues einsames Eckhaus mit dunkler glatter Fassade, dessen Galeriefenster eine Wundmarke vom ersten Steinwurf zeigt. Drumherum Freiflächen. Ein Grundstück steht zum Verkauf. Schräg gegenüber liegt das „Siefos“, ein Wohn- und Sozialprojekt. Eine explosive Nachbarschaft, irgendwann mal. „Hier werden ganz unterschiedliche Welten aufeinanderprallen“, sagt Herwarth v. Bittenfeld. Deshalb schlägt er vor, freie Grundstücke eher an Baugruppen zu vergeben. „Die sind besser im Kiez verankert.“ Franz Schulz, Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, wünscht sich einen „Runden Tisch“ für die unterschiedlichen Interessengruppen, damit der Konflikt nicht eskaliert wie im Fall Mediaspree.

Weiter östlich sind die beiden Stadtteile durch eine natürliche Grenze voneinander getrennt, den alten Luisenstädtischen Kanal, der jetzt als Park hergerichtet ist. Hier stehen die schicken neuen Townhouses von Mitte schon in geschlossener Reihe. Die systemkritischen Nachbarn in den Kreuzberger Altbauten sind ja nun weit genug entfernt.

Am Engelbecken können sich die Grenzbewohner wie früher nur zuwinken, aber dazu gibt es heute keinen Anlass mehr. Die Mauerlinie schwenkt nach rechts zum Bethaniendamm. Jetzt fehlen auf westlicher Seite die Häuser, aber das tun sie schon sehr lange. Der Kinderbauernhof „Am Mauerplatz“ ist ein Relikt der 80er Jahre, die Wagenburg „Kreuzdorf“ am Mariannenplatz, zurzeit bewohnt von rund 50 Alternativen, hat die Maueröffnung ebenfalls erfolgreich ausgestanden. Vor kurzem mussten ein paar Lkws eine Grünfläche direkt an der Thomaskirche räumen. Mehr sei eigentlich nicht passiert, sagt ein holländischer Burgbewohner.

Auch der türkische Datschensiedler auf der Verkehrsinsel hinter der Thomaskirche hat die Stürme der Wendezeit ungeschoren überlebt. Seine Ökolaube, umtost von Ost-West-Pendlern, heißt weiterhin „Baumhaus an der Mauer“. Franz Schulz sieht darin ein „anerkanntes Sozialdenkmal Kreuzberger Geschichte“. Für diese skurrilen Wohnformen gelte eine unbefristete Duldung. Alles andere würde „Proteststürme“ auslösen.

Wenn die Wagenburgler ihre linksradikalen Gesinnungsfreunde in der „Köpi“, dem besetzten Hinterhofgebäude an der Köpenicker Straße, besuchen wollen, müssen sie am sanierten Altbau von Chris und Marco vorbei, beide Ende 20. Marco, der bei Siemens arbeitet, hat vor kurzem den Außenspiegel seines BMWs auf dem Bürgersteig wiedergefunden. Er hat eine Vermutung, aus welcher Szene der Täter kommen könnte. „Der ganze Vandalismus, das Autos-Anzünden, Bierflaschen-Zerdeppern“ stört ihn mächtig. Sein Freund Marco, der in einer Presseagentur arbeitet, findet es trotzdem cool, im „Grenzgebiet“ von Mitte zu wohnen und auf Kreuzberg zu gucken. Abends am Kotti auszugehen würde ihm aber nicht ernsthaft in den Sinn kommen.

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