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Berlin: Kriminalität geht zurück – aber nicht bei Migranten-Kids

Statistik 2005: Deutlich weniger Straftaten in fast allen Bereichen - Mehr Delikte bei Warenbetrug und Kindesmissbrauch

Die Zahl der Straftaten ist in Berlin auf den niedrigsten Stand seit 13 Jahren gesunken. 1996 waren es 594 000 Taten, im vergangenen Jahr 509 000. Die Aufklärungsquote stieg in diesem langen Zeitraum von 44,4 auf 47,8 Prozent – allerdings nahm sie in den letzten drei Jahren wieder kontinuierlich ab. Weit weniger Delikte gab es unter anderem bei Mord und Totschlag, Raub, Körperverletzungen und Sexualverbrechen. Gestern stellten Polizeipräsident Dieter Glietsch und Innensenator Ehrhart Körting die Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2005 vor. Wie in jedem Jahr wurden diese Zahlen von der Politik sehr unterschiedlich bewertet. Körting sprach von einer „Erfolgsstatistik“ , die zeige, dass „Berlin noch ein Stück sicherer geworden ist“. Der CDU-Politiker Frank Henkel dagegen erklärte: „Berlin ist der gefährlichste Ort Deutschlands, da bin ich mit der Gewerkschaft der Polizei einer Meinung.“

Dass die Zahl der Straftaten gesunken sei, liege im bundesweiten Trend, sagte Körting – und nannte diesen Grund: „Je älter die Gesellschaft wird, desto geringer ist die Kriminalität.“ Opposition und Polizeigewerkschaften nannten aber auch die sinkende Kontrolldichte durch immer weniger Polizisten, die vor allem bei Umwelt- und Rauschgiftdelikten zu einem Rückgang geführt haben. Beides sind klassische „Kontrolldelikte“. Körting räumte ein, dass für den Rückgang von Drogendelikten um 9 Prozent tatsächlich die selteneren Polizeikontrollen verantwortlich seien. „Und es ist im WM-Jahr zweifelhaft, ob wir die Kontrolldichte wieder erhöhen können“, sagte Körting. Der Innensenator verwies aber darauf, dass es in fast allen Deliktbereichen Rückgänge gab.

Ausnahmen gibt es nur wenige: Das Plus von 18,6 Prozent bei Kindesmisshandlungen erklärten Körting und Glietsch mit der gestiegenen Anzeigebereitschaft. Den deftigsten Anstieg gab es bei Warenkreditbetrug (105 Prozent) und Warenbetrug (42 Prozent). „Zum Teil sind die Opfer selbst schuld“, sagte Körting und kritisierte scharf die Sorglosigkeit vieler Versandhäuser. So gebe es einen neuen Trend, dass sich Betrüger teure Waren an Packstationen der Post schicken lassen – und dann nie zahlen.

Besorgniserregend sei vor allem der steigende Anteil junger ausländischer Straftäter, sagte Körting. „Während 2005 jeder achte männliche deutsche Jugendliche mit einer Straftat in Erscheinung trat, war dies bei männlichen nichtdeutschen Jugendlichen jeder Dritte“, heißt es im Bericht zur Kriminalstatistik. Die Besserung bei der Jugendkriminalität ist nur auf den Rückgang der Delikte deutscher Täter zurückzuführen. Besonders bei den Rohheitsdelikten stieg der Anteil ausländischer Jugendlicher deutlich um 10 Prozent. Bei Deutschen sank sie dagegen um 6,7 Prozent. Insgesamt – also in allen Altersklassen – stieg der Anteil der Ausländer unter den insgesamt ermittelten 135 000 Tatverdächtigen auf 31 Prozent, im Vorjahr waren es 28 Prozent.

Die steigende Kriminalität unter ausländischen Jugendlichen „bereitet große Sorgen“, sagte Körting. Deshalb solle sich jetzt sowohl die Landeskommission gegen Gewalt als auch der Integrationsbeauftragte mit der Entwicklung stärker beschäftigen. Körting nannte als mögliche Gründe die hohe Jugendarbeitslosigkeit, geringere Bildung und schlechtere wirtschaftliche Lage. Türkische und arabische Jugendliche lösten sich zudem immer stärker aus der patriarchalischen Kontrolle ihrer Familien. „Die entscheidende Frage ist, ob es uns gelingt, die ausländischen Eltern und Verbände zu erreichen“, sagte Körting. So habe es beim vergangenen 1. Mai in Kreuzberg eine erfreulich gute Kooperation mit den türkischen Gemeinden gegeben.

„Ausländische Familien müssen stärker bereit sein, Hilfen vom Staat anzunehmen“, forderte Körting – und sich Gedanken über andere Erziehungsmethoden machen. Der SPD-Politiker verteidigte die erst seit drei Jahren in der Statistik vorgenommene Differenzierung nach deutschen und nichtdeutschen Tatverdächtigen. „Das ist sinnvoll“, sagte Körting, „wir können kein Friede-Freude-Eierkuchen-Bild vermitteln.“

Dem widersprach der grüne Abgeordnete Volker Ratzmann, der statt dieser Differenzierung die Aufnahme von Bildung und sozialer Lage in die Kriminalstatistik forderte. Nur mit solchen Kriterien könne man politisch gegensteuern und kontrollieren, ob eine Bildungsoffensive Kriminalität bekämpfen kann. Auch CDU und FDP sprachen sich für die Differenzierung aus. Die PDS-Abgeordnete Marion Seelig forderte, angesichts der Kriminalität junger Ausländer kein Geld mehr aus der Bildung abzuziehen.

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