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Krippenspiele: Integration ist, wenn Muslime Weihnachten feiern

In vielen Kirchen gibt es zu Weihnachten interreligiöse Krippenspiele. Der Senat lädt die Glaubensgemeinschaften zum Dialog ein.

Josef ist noch nicht textsicher: Soll er Maria helfen, das Kindlein zu wiegen? Oder Maria ihm? Und König Balthazar muss plötzlich auf die Toilette, kurz bevor er mit den anderen heiligen Königen vorm Altar singen soll. „Freue dich, oh Christenheit“, werden sie gleich gemeinsam mit zwanzig anderen Kindern schmettern.

Wenige Tage vor Heiligabend proben in der evangelischen Kirche St. Simeon die Kitakinder das Krippenspiel – so wie in vielen christlichen Gemeinden. Doch in der Kreuzberger Wassertorstraße sind Josef, Balthazar, Melchior und die meisten anderen kleinen Schauspieler Muslime. 90 Prozent der Kitakinder stammen aus muslimischen Familien, schätzt Viktoriya Balitska, die die Theatergruppe und den Kinderchor der evangelischen Gemeinde leitet. Zum fünften Mal inszeniert sie mit den muslimischen Kindern das Krippenspiel in St. Simeon. In den ersten Reihen würden Heiligabend bei der Aufführung die Eltern sitzen, darunter viele Mütter mit Kopftuch, sagt Sergiy Balitskiy, Küster und technischer Direktor der Theatergruppe.

Am Ende dieses Jahres, in dem so viel über Integration und Integrationsverweigerer diskutiert wurde, darüber, ob der Islam mit der christlichen Tradition in Deutschland zu vereinbaren ist, am Ende dieses Jahres erscheint das interreligiöse Krippenspiel in St. Simeon fast wie ein Weihnachtswunder. In der schlichten Kirche an der Wassertorstraße gehen Christen und Muslime entspannt und vertraut miteinander um. „Muslim oder Christ – das ist doch egal“, sagt Zülfü Kirmizitas, Metallbauer, der vor 30 Jahren aus dem Südosten der Türkei nach Deutschland gekommen ist und bei der Probe in der ersten Reihe sitzt. Er ist Vater von zwei kleinen Engeln, die Heiligenscheine aus weißen Daunenfedern tragen: Dilara (8), und Ilyada (5) . Er sei „nicht strenggläubig“, sagt der Vater, aber glaube an Allah, „Wenn man die Bibel und den Koran vergleicht, ist vieles ähnlich.“ Deshalb hat er kein Problem damit, dass seine Töchter beim Krippenspiel mitmachen. Josefs Vater stammt auch aus der Türkei. Josef heißt eigentlich Kenan und ist zwölf Jahre alt. Woran er glaubt? „An Gott, und dass er die Welt erschaffen hat.“ Das glaubt auch Maria, die Milena heißt und Christin ist. Ihre Eltern kommen aus Angola.

Pfarrer Sascha Weber, der neu in der Gemeinde ist, und zum ersten Mal eine Weihnachtspredigt vor so vielen Muslimen halten wird, sieht das ähnlich: „Allah heißt doch übersetzt einfach nur Gott. Vielfach und in vielerlei Hinsicht hat sich Gott der Welt offenbart.“ Christen und Muslime müssten sich besser kennenlernen und aufeinander zugehen, ohne dem anderen die eigene Meinung aufzudrücken. In seiner Predigt Heiligabend will er über das „Geschenk“ sprechen, das die Kinder der Gemeinde mit dieser Aufführung geben: „Das passt sehr gut nach Kreuzberg“, sagt er.

St. Simeon ist längst nicht die einzige christliche Gemeinde in Berlin, in der muslimische Kinder in die Kita gehen. In Kreuzberg, Neukölln und Wedding ist das mittlerweile selbstverständlich. „Wir sind nicht nur für die Christen da, sondern für alle“, sagt der evangelische Landesbischof Markus Dröge. „Das ist unsere Aufgabe als gesellschaftlich engagierte Kirche.“ Auch der rot-rote Senat hat entdeckt, wie wichtig es für den Zusammenhalt der Stadt ist, dass die Religionen miteinander ins Gespräch kommen. „Beim Thema Integration kann man die Religionen nicht außen vor lassen“, sagt Dirk Kroegel, der stellvertretende Beauftragte für Kirchen-, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Senat. „Wir wollen möglichst alle Religionsgemeinschaften für eine auf Verständigung und Toleranz basierende Politik gewinnen.“ Mit einer breit angelegten Konferenz Mitte Januar, zu der der Senat 250 Vertreter von Kirchen, jüdischer Gemeinde, Moscheevereinen und muslimische Einzelpersönlichkeiten eingeladen hat, soll ein erster Schritt dahin getan werden. Durch die Konferenz will man zudem die vielen Einzelinitiativen in Gemeinden, Vereinen und im akademischen Bereich, die sich um den interreligiösen Dialog bemühen, besser vernetzen.

Sara (7) und Maja (8), deren Eltern aus dem Irak stammen, sitzen an diesem Abend vor Weihnachten in St. Simeon auf den Stufen vor dem Altar. Sie singen im Engelschor. Zusätzlich zu den Proben in der Kirche sind sie rund um das muslimische Opferfest Mitte November jeden Tag in die Moschee gegangen. Dort würden sie allerdings nicht so viel verstehen wie in der Kirche, sagen sie, weil die Gebete auf Arabisch abgehalten werden. Die Mädchen kennen viele Geschichten aus dem Koran. Die, in denen es um „Liebe und Nettigkeit“ geht, mögen sie sehr. Eine andere Geschichte hat sie allerdings sehr irritiert: „Wenn die Erde zu Ende ist, dann sollen Christen und Muslime gegeneinander kämpfen steht da“, sagt Sara – und findet das „blöd“. Die biblische Weihnachtsgeschichte gefällt ihr viel besser.

Die Christvesper mit Krippenspiel und Bläserchor in St. Simeon, Wassertorstr. 21a findet Heiligabend um 16 Uhr statt. Eine Übersicht über die Weihnachtsgottesdienste finden Sie auf Seite 17.

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