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Berlin: Küchenchef mit kulinarischer Kombinationsgabe

Kantstr. 17, Charlottenburg, Tel.

Kantstr. 17, Charlottenburg, Tel. 315186-0, täglich ab 12 Uhr, kein Ruhetag. Alle KreditkartenBernd Matthies

Da traut sich einer was. Markus Semmler, der früher von vielen Kollegen wegen seiner lockeren Sprüche gern öffentlich abgewatscht wurde, hat sich in Berlin nicht mit Worten, sondern mit Taten durchgesetzt. Seine "Mensa" am Lützowplatz ist erste Wahl, wenn es um hervorragendes Essen in kommunikativer, nicht zu steifer Atmosphäre geht. Seit Ende vergangenen Jahres tanzt er auf einer zweiten, noch viel komplizierteren Hochzeit: Das "Stil" im Charlottenburger Stilwerk bedeutet für ihn den Schritt vom Edel- zum Großgastronomen. Das funktioniert, offenbar, weil er eine glückliche Hand beim Personal hat und Köche beschäftigt, die selbstständig hohe Qualität liefern.

Aber nicht nur Köche. Restaurantchef Dominique Metzger - aus dem "Grand Slam" noch in guter Erinnerung - und Sommelier Jens Pietzonka schaffen es souverän, von Anfang an das Gefühl zu vermitteln, es könne nichts Wichtiges schief gehen. Das versteht sich nicht von selbst, denn das "Stil" wirkt in seiner strengen Optik mit Philippe-Starck-Stühlen und viel Birnbaumholz etwas unfroher als die lustig-mediterrane "Mensa", und manchmal dominieren unter den Gästen viele geschäftige Nebenbei-Esser auf Handy-Abruf. Aber das ist zumindest mittags kein Wunder, denn drei Gänge in dieser Qualität für 38 Mark sind praktisch geschenkt - beispielsweise eine leichte Suppe, geschmorte Rehschulter als Hauptgang und einen winterlichen Gewürzauflauf.

Doch Küchenchef Ralf Zacherl fühlt sich naturgemäß wohler, wenn er vor allem abends richtig Stoff gibt und seine kulinarische Kombinationsgabe in eigenwillige Gerichte münden lässt; mutige Gäste dürfen dann schon einmal zart-saftigen Hummer auf sahnigen Kalbskutteln kosten oder ein Stück perfekt gebratene Gänseleber auf Orangen-Lauch. Auch eher vergessene Delikatessen wie Steckrüben oder Spitzkohl spielen eine wichtige Rolle.

Das heißt nicht, dass hier rustikal oder hoch experimentell gekocht würde. Die Basis der Stil-Küche liegt in Mitteleuropa, die Inspirationen kommen vom Mittelmeer, der Witz liegt meist im ungewöhnlichen Kontrast, wie beim Kuttel-Hummer oder dem Tintenfisch auf Linsen, den wir einmal als Appetitanreger bekamen. Angerichtet wird streng ohne Spielereien, auf dem Teller liegt, was auf der Karte steht - der Vergleich zum "Vau" drängt sich auf, auch wenn dort etwas konservativer kombiniert wird. Seeteufel gratiniert mit Kräutern plus Sellerie-Shiitake-Salat, schaumig-leichte Tomatensuppe mit Krustentier-Wan-Tan (aber ohne asiatische Aromen), Lammrücken auf dezent geschärfter Polenta mit mediterranen Gemüsen, Schwarzfederhuhn mit Rotweinschalotten und Rosenkohlstrudel waren köstliche Beispiele für diese unverkrampfte moderne Küche. Steinbutt mit gebratener Gänseleber ist fast schon ein Klassiker; ich finde allerdings, dass das Aroma des Fischs dabei unverdient unter die Räder kommt. Bei den Desserts schien (wegen Personalproblemen, wie wir hörten) die Linie zu fehlen: Die sanfte Kokos-Bananen-Terrine mit Nougateis gefiel uns gut, das Apfelgratin litt dagegen unter einer Überdosis Vanille - und das dazu gereichte Lakritzeis war doch wohl eher ein Gag für Fans.

Sommelier Pietzonka kann aus einem gewaltigen Weinreservoir schöpfen. Besonders auffällig sind neben den europäischen Klassikern die raren Überseeweine, vor allem Shiraz, aus Australien und Kalifornien, es gibt ein großes spanisches Angebot und ungewöhnlich viele Dessertweine von deutschen Auslesen bis zum südfranzösischen Pacherenc de Vic Bilh. Die ausgezeichnete, mit etwas Merlot abgerundete "Cuvée Carolus" von Wehrheim in der Pfalz habe ich noch nirgendwo sonst gesehen, geschweige denn getrunken.

Ist es nötig, zum Essen die Erbtante mitzubringen, wie kürzlich ein schreckhafter Journalist behauptete? Ich finde die Preise der gebotenen Qualität auch abends mehr als angemessen. Vier Gänge kosten 88 Mark, mit sehr guten Weinen glasweise 135 Mark, das große Sechs-Gang Menü kostet 132 Mark. Skeptiker können sich für den Anfang im Bistro oder an der Sushi-Bar heranpirschen - und feststellen, dass die Rechnung aufgeht.

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