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Sehen die glücklich aus? Eben!

© Kai-Uwe Heinrich

Kutschen in Berlin: Pferde raus aus der Stadt!

Selbst in Wien und New York regt sich Widerstand gegen die Kutschenquälerei. In Berlin hat sie nicht mal Tradition. Liebe Leute, reitet auf Bierbikes und Segways durch Berlin – und lasst die armen Gäule in Ruhe!

Da lag er mitten auf dem Asphalt: ein Haufen Pferdeäppel, zwischen Bushaltestelle und Mittelstreifen. Fast wäre ich beim Überqueren der Fahrbahn hineingetreten, aber nur fast, denn der Geruch nach Stall, Landleben und Ferien auf dem Bauernhof riss mich rechtzeitig aus der Versunkenheit und verhinderte die Sauerei. Ich trug nämlich keine Gummistiefel, sondern helle Riemchensandalen.

Pferdeäpfel mitten in der Großstadt, quasi Ecke B96. Hinterlassenschaften von Tieren, die Kutschen durch sehenswürdige Gegenden ziehen. Mit Stolleneisen an den Hufen und Scheuklappen am Kopf, um sie von den Härten der modernen städtischen Umgebung mit ihren Autos, Bussen und Trams abzuschirmen. Aber was soll das überhaupt? Was haben die Tiere in der Stadt verloren, vor der sie derart geschützt werden müssen? Wie artgerecht ist das und vor allem: wie notwendig? Die Antwort: beide Male null. Und darum: Schluss damit!

Berlin könnte da eine Vorreiterrolle einnehmen und das mit gutem Grund: Anders als in Wien (Fiaker!) oder vielleicht noch New York (Central Park!) haben hier Ausflugspferdekutschen zum erbaulichen Herumklackern auf Straßensteinen nicht einmal eine erhaltenswerte Tradition. Und sogar in den genannten Städten regt sich Widerstand, in Wien etwa mit Sleep-Ins von Tierfreunden. In New York hat Bürgermeister Bill de Blasio höchstpersönlich den Horse Carriages den Kampf angesagt – geändert hat das allerdings bisher noch nicht viel.

Und Berlin? Hier sind Kutschen der reine neuzeitliche Freizeitspaß, wie Bierbike oder Segway, nur, dass noch ein Tier mitmachen muss. Und jetzt bitte nicht mit dem Hinweis auf schlecht behandelte Reitpferde das Schlechtbehandeln von Kutschpferden rechtfertigen oder relativieren. Das macht erstens gar nichts besser. Und zweitens findet beim Reiten – in der Regel jedenfalls, wenn sicher auch mancherorts fehlerhaft – eine Auseinandersetzung mit dem Tier statt. Der Reiter müht sich. Der Kutschgast nicht, der ist nur fauler Nutzer, der sitzt nur rum.

Niemand baut Straßen durch Ställe - warum wohl?

Seit Ende April gibt es nun, initiiert von einer Münchnerin, eine Onlinepetition gegen die Berliner City-Kutschen, unterschrieben von mehr als 72 000 Menschen. Ein Glück, denn von alleine kommt darauf in der Berliner Verwaltung offenbar niemand.

Die Online-Aktivistin argumentiert, dass Pferde Fluchttiere seien und darum nicht in den Straßenverkehr gehörten. Das ist natürlich übertrieben fundamental, schließlich gibt es auch gelassene oder phlegmatische Pferde. Aber auch die mögen keinen Lärm und keinen Gestank. Wie absurd die Pferdenutzung auf Hauptverkehrsstraßen ist, kann man sich leicht mit dieser Fragestellung klar- machen: Würde jemand auf die Idee kommen, eine Schnellstraße durch einen Stall zu bauen? Nein? Na also!

In ungezählten Kinderbüchern kommen Pferde als sanfte, kinderliebe und stark vermenschlichte Wesen vor, doch im wirklichen Leben eignen sie sich – anders als viele Hunde – nicht zur Vereinnahmung. Von ihrer Veranlagung her sind sie zur Panik neigende Herden- und Bewegungstiere, die viel Platz und Ruhe brauchen.

Wer durch die Stadt gondeln will, hat von der Stretchlimousine bis zum Bollerwagen heutzutage wahrlich reichlich Auswahl an Fortbewegungsmitteln, die für den Asphalt gemacht sind, und dennoch Blicke und Aufmerksamkeit auf sich ziehen – oder wozu sonst nutzt man das, mal ehrlich, sagenhaft peinliche Kutschenangebot?

Ganz bestimmt meinen die Menschen, denen die Pferde und Kutschen gehören, das alles nicht böse, sondern gut. Sie nennen ihre Tiere beim Namen, sie bilden sie aus, füttern, putzen und mögen sie. Aber dann ähneln sie der Kollegin, die ihr liebgewonnenes Parfüm schon so lange benutzt, dass sie es selbst gar nicht mehr wahrnimmt und nicht begreift, wie sehr es den anderen stinkt.

Und ja, vielleicht stehen die Pferde nach Feierabend vor den Toren der Stadt knietief im Gras und haben es gut. Kann sein, zu wünschen wäre es ihnen. Und genau da sollten sie dann auch den Rest der Zeit bleiben.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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