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Autobiographie: Wowereits Hartz-IV-Schelte kommt schlecht an

Eine Passage aus dem jüngst veröffentlichten Buch des Regierenden Bürgermeisters Wowereit sorgt für Unmut. Darin fordert er Hartz IV-Empfänger auf, besser mit ihrem Geld umzugehen. Oppositionschef Pflüger nennt das "dümmlich und arrogant".

Wer in Berlin von Hartz IV lebt, ist aus Sicht des Regierenden Bürgermeisters ausreichend versorgt. Der Sozialdemokrat Klaus Wowereit fragt sich, „ob das, was wir manchmal Armut nennen, nicht auch ein wenig mit der verloren gegangenen Fähigkeit zu disziplinierter und mathematisch korrekter Haushaltsführung zu tun hat“. So schreibt es Wowereit in seinem jüngst erschienen Buch, um zu erläutern, dass sich Armut heute von der Armut seiner Jugend unterscheidet. Er wundere sich, so Wowereit, „wofür die Budgets der kleinen Leute heute so ausgegeben werden“ – 80 Euro monatlich für Zigaretten, noch mal so viel für Lotto, Alkohol, Bezahl-TV, Handy-Gebühren.

In einem Interview mit der heute erscheinenden „Super-Illu“ hat Wowereit seine Ansicht noch mal vertieft: Er wolle niemandem das Recht auf ein Mobiltelefon absprechen, so zitiert „Bild“ die Illustrierte, „aber vielleicht braucht man nicht das neuste und teuerste. Auf jeden Fall ist das Geld falsch investiert, wenn deswegen die Kinder nichts Vernünftiges zu essen bekommen.“

Regierung unterstützt Wowereit

Harte Worte für einen Sozialdemokraten in einer Stadt mit 335 000 Hartz-IV-Haushalten. SPD-Landeschef Michael Müller relativiert Wowereits Armutstheorie, wenn er sagt: „Klaus Wowereits Äußerungen verstehe ich nicht als pauschale Unterstellung gegenüber allen Hartz-IV-Empfängern. Aber natürlich gibt es Menschen, die viel Geld für Zigaretten, Lotto, Handyrechnungen und so weiter ausgeben. Das gehört zur Realität und so muss man es dann auch benennen.“

Ähnlich geht auch Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner mit Wowereits Armen-Schelte um: Es gebe durchaus missbräuchlichen Umgang mit dem Geld, sagt sie ihrer Sprecherin Roswitha Steinbrenner zufolge. Um so wichtiger sei es, dass der Bedarf von Kindern und Jugendlichen nicht einfach nur relativ zum Bedarf von Erwachsenen bemessen werde. Er müsse sich an den Entwicklungsstufen orientieren. SPD Landeschef Müller will darüber hinaus „öffentliche Leistungen für Kinder direkt weiterzugeben. Also zum Beispiel über die Schulen.“ So sei Missbrauch auszuschließen. „Für Menschen, die das nicht gut können, gibt es genügend Beratungsangebote; etwa die Schuldnerberatung“, sagt Müller noch.

Davon abgesehen rief Wowereit mit seinen Worten vor allem Widerspruch hervor. Linkspartei-Landeschef Klaus Lederer kritisierte Wowereits „Stammtischargumente“ und verlangte eine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes von 347 auf 420 Euro. Kommunale Lehrmittelfonds seien eine weitere Möglichkeit, um Kindern aus armen Familien zu helfen.

Pflüger: "Pauschalisierung ist dümmlich und ignorant"

Auch Pfarrer Bernd Siggelkow von der Arche in Hellersdorf warnte vor Pauschalurteilen über Hartz-IV-Empfänger: „Ich kenne ganz viele Eltern, die ihren Kindern ein gutes Leben ermöglichen möchten, aber einfach nicht genug Geld zur Verfügung haben.“ Wie knapp die Hartz-IV-Sätze kalkuliert seien, illustriert Siggelkow an zwei Beispielen: Für die Anschaffung eines Fahrrads seien pro Monat 40 Cent einkalkuliert, für Spielzeug 9,10 Euro im Jahr. Auch nach Ansicht des Sozialexperten beim Diakonischen Werk, Rainer Krebs, sind die Regelsätze generell zu niedrig. Sie müssten um 20 Prozent erhöht werden.

Geradezu empört ist CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger über Wowereits Worte: „Dümmlich“ und „ignorant“ sei die „Pauschalierung“. Es gebe Sozialmissbrauch, „aber das ist doch nicht die Regel“, sagte Pflüger. Wowereit komme offenbar selten mit Hartz-IV-Beziehern zusammen. Pflüger plädiert für ein Gutscheinsystem, damit Leistungen für Kinder auch bei den Kindern ankommen. Eine umfassende Hartz-Reform sei nötig, so Pflüger: „Dazu hätte ich gern ein Wort von Wowereit gehört.“ (obs, sik, wvb, za)

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