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Klaus Wowereit: Berlin soll Modellstadt werden

Arbeitslosigkeit und Abstieg: Die soziale Kluft in der Stadt wächst. Klaus Wowereit und SPD-Chef Michael Müller legen ein Thesenpapier vor, mit dem sie Berlin voranbringen und ihre Partei aus dem Tief holen wollen: Industrie soll angelockt werden und Geld in Problemkieze fließen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die SPD will Berlin zu einer Modellstadt für grüne Zukunftsindustrien und hervorragende Bildungseinrichtungen von der Kita bis zur Hochschule entwickeln, in der soziale Integration „beispielhaft für die Republik gelebt wird“. Berlin müsse zur solidarischen Stadt werden, in der „die Bürger füreinander eintreten“ und durch den Staat dabei unterstützt werden, ihr Leben eigenständig bestreiten zu können. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller formulierten diesen hohen Anspruch in einem gemeinsamen Thesenpapier, das der SPD-Abgeordnetenhausfraktion auf einer Klausurtagung in Eisenach vorgestellt wurde. Die beiden SPD-Spitzenleute wollen mit ihrer Initiative die „dritte Etappe sozialdemokratischer Regierungsverantwortung“ in Berlin einläuten, und zwar weit über die Abgeordnetenhauswahl 2011 hinaus.

Moderne Industrien. Wowereit will im kommenden März einen „Steuerungskreis Industriepolitik“ gründen. Kreativ-, Film- und Medienwirtschaft sollen ebenso ausgebaut werden wie die Klimaschutzindustrie, Gesundheitswirtschaft, Informationstechnologien und moderne Verkehrssysteme. „Wir brauchen eine neue Industrialisierung Berlins“, steht im Thesenpapier. Um Wohlstand und nachhaltiges Wachstum in die Stadt zu bringen, müsse Berlin wieder als Industriestandort erkennbar werden, heißt es weiter. Auch müsse die Zahl der industriellen Arbeitsplätze deutlich erhöht werden.

Soziale Integration. Zweiter Schwerpunkt der Senatspolitik soll die Integrationspolitik „als Aufstiegsprogramm“ werden. Und zwar nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund. Der Hochschulzugang für junge Menschen ohne Abitur soll weiter geöffnet und die Zahl jugendlicher Migranten ohne Schulabschluss halbiert werden. Bewährte Modelle wie die Stadtteilmütter und die Sprachkurse für Migranten werden überprüft und ausgebaut. Wowereit lobte am Sonnabend private Initiativen wie die Roland-Berger-Stiftung, die sich um die Ausbildung von Kindern aus sozial schwachen Familien kümmert. Besonders wichtig sei es, die Hilfen zur sozialen Integration zu individualisieren. Das gehe nur mit einem starken ehrenamtlichen, bürgerschaftlichen Engagement. Nicht alles könne die öffentliche Hand leisten. „Die Maßnahmen dürfen auch nicht an der Haustür der Familien enden“, so Wowereit. Individuelle Hilfen seien aufwendig, aber immer noch kostengünstiger, „als wenn jemand ein ganzes Leben lang im staatlichen Unterstützungssystem verharrt“.

SPD-Chef Müller forderte von den Familien, ihren eigenen Beitrag zur Integration zu leisten. Es gehe zum Beispiel nicht, dass Schüler(innen) vom gemeinsamen Schwimm- und Sportunterricht ausgegrenzt würden. Der Regierende Bürgermeister wies darauf hin, dass er die Leitung einer neuen Arbeitsgruppe der Bundes-SPD „Zukunftswerkstatt Integration“ übernommen habe, um das Thema von Berlin aus bundesweit voranzutreiben. Die Arbeitsgruppe soll zwei Jahre tagen, mit kurzfristigen Ergebnissen sei nicht zu rechnen. Wowereit warnte auch davor, „sich ständig provozieren zu lassen von denen, die mit ihren populistischen Sprüchen völlig überbewertet werden“. Die Probleme zu beschreiben, sei einfach, sie zu ändern ein langfristiges Projekt.

Solidarische Stadt. Ein weiterer Schwerpunkt der Regierungspolitik sollen die Mietenpolitik und der Ausbau des Quartiersmanagements werden. Wowereit und Müller kündigten an, die Fördermittel für besonders belastete Kieze in Kreuzberg, Neukölln, Spandau, Mitte und Marzahn-Hellersdorf deutlich aufzustocken. Die zusätzlichen Gelder sollen unter anderem in Programme gegen Schulschwänzen und in Sprachkurse für Zuwanderer fließen. Verdrängung und soziale Entmischung durch steigende Mieten wollen Wowereit und Müller weiter bekämpfen. Auch das geplante Klimaschutzgesetz dürfe die Mieter finanziell nicht überfordern. Wenn der Lebensstandard in Berlin steige, so Wowereit, müssten aber auch Mieterhöhungen möglich sein, um den Eigentümern eine auskömmliche Rendite zu ermöglichen. Wichtiger sei es, die Betriebskosten einzudämmen und die städtischen Wohnungsunternehmen für eine soziale Wohnungspolitik einzusetzen.

Öffentliche Daseinsvorsorge. Sollte die Bahn nicht in der Lage sein, das „S-Bahn-Desaster“ zu lösen, sind Wowereit und Müller für eine Übernahme der S-Bahn durch das Land. Auch bei den Wasserbetrieben und der Gasag müsse der Einfluss des Landes ausgebaut werden. Entweder durch Neuverhandlung der Verträge oder die Übernahme in Landesbesitz. Weitere Privatisierungen kommunaler Betriebe, etwa der Krankenhäuser, schließen die beiden SPD-Politiker grundsätzlich aus.

SPD im Aufbruch? Im laufenden Jahr will die Partei eine „Dialogoffensive“ starten, um ihre politischen Ziele verständlich zu machen. Wowereit geht auf Tour durch alle zwölf Bezirke, vier Hauptstadtkonferenzen sind geplant und die SPD-Abgeordneten sollen auf „Wahlkreistagen“ für Projekte wie das neue Integrations- und Klimaschutzgesetz werben. Ziel sei es, so Müller, bei der Berliner Wahl 2011 wieder die „mit Abstand stärkste Partei“ zu werden. Koalitionsaussagen lehnten beide Politiker ab. „Wir wollen so stark werden, dass wir möglichst viele Bündnisoptionen haben“, sagte Wowereit. Etwa mit den Linken und Grünen, bei der FDP sei es schwieriger. Auch eine Zusammenarbeit mit der CDU sei kein Tabu. Allerdings sei die Union in Berlin nach wie vor nicht regierungsfähig.

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