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Das Kaufhaus des Westens (KaDeWe) und das Schuhgeschäft Leiser an der Tauentzienstraße im Jahr 1955.  -

© ullstein bild

Ehemals größtes Schuhgeschäft der Stadt: Legendäres Berliner Schuhhaus „Leiser“ am Tauentzien gibt auf

Das Flaggschiff neben dem Kadewe ist nicht die erste Filiale, die schließen muss. Der Einzelhandelsverband spricht von einem „tiefen Wandel“ des Kaufverhaltens.

Das Kadewe war im Bau, aber noch nicht eröffnet, da reichte die Strahlkraft des Luxus-Kaufhauses bereits aus, um den sich entwickelnden Westen der Stadt auch für andere Geschäftsleute attraktiv zu machen. Ganz vorn dabei war Julius Klausner. Der gründete 1906 mit seinem Onkel und Schwiegervater Hermann Leiser an der dem Kadewe benachbarten Ecke, Tauentzienstraße 20, das größte Schuhgeschäft der Stadt. 116 Jahre später ist Schluss: Leiser schließt sein Flaggschiffgeschäft.

Die Stammkunden erfuhren als erste davon, dass sie künftig auf ihre erste Adresse für den gehobenen Schuhkauf verzichten müssen: In ihren Briefkästen landete Ende der Woche die Nachricht von der Schließung und einer Rabattaktion zwischen dem 28. März und 7. April. Eine langjährige Mitarbeiterin wusste zudem zu berichten, dass es noch bis zum 16. Juli mit dem Verkauf weitergehen solle, eine Kollegin sprach von „Ende Juli“.

Auch hieß es, dass Filialen wie die in Tegel, Spandau und Potsdam sowie die Geschäfte von „Leiser Comfort“ weiterbestehen sollen. Die Eigentümer selbst wollten sich auf Nachfrage zu den Gründen der Schließung erst kommende Woche äußern.

Die Schließung sei „Ausdruck des tiefgreifenden Wandels“, der durch die Pandemie noch beschleunigt worden sei, sagte Nils Busch-Petersen vom Einzelhandelsverband Berlin-Brandenburg dem Tagesspiegel. Für so große Geschäfte wie Leiser hätten die Corona-Hilfen nicht gereicht. Die „Handels-DNA“ verändere sich, wenn historisch Gewachsenes verloren gehe.

Der Vorgang belege, dass auch Top-Lagen vom Wandel betroffen seien: „Wir sind mitten in einer Neuorientierung“, so Busch-Petersen weiter. Andererseits zeige aber die Eröffnung des großen Zalando-Geschäfts am Tauentzien, dass der stationäre Handel kein auslaufendes Modell sei.

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Kein auslaufendes, aber ein schwieriges. Das lässt sich auch auf der Leiser-Homepage nachlesen: „Nach und nach erobert das Internet die heimischen vier Wände und durch den Online-Handel erhöht sich der Konkurrenzdruck massiv. Die breite Aufstellung mit vielen Einzelfilialen wird mit der Zeit zum Wettbewerbsnachteil“, heißt es dort - auch wenn man seit Jahren versuchte, den Onlinehandel auszubauen.

Von der Wilmersdorfer Straße verschwand "Leiser" schon längst

Es ist nicht die erste Filiale, die Leiser schließen muss. Ein sichtbarer Rückzug ereignete sich 2018 auch an der Ecke Kantstraße/Wilmersdorfer Straße. In dem Eck-Geschäft befindet sich längst eine Fast-Food-Kette. Gegenüber ist die Neuvermietung nicht gelungen: Da steht die große Ladenfläche des Bekleidungsgeschäfts "Peek & Cloppenburg" leer.

Eine weitere "Leiser"-Filiale in der Wilmersdorfer Straße in Berlin-Charlottenburg wurde bereits geschlossen.
Eine weitere "Leiser"-Filiale in der Wilmersdorfer Straße in Berlin-Charlottenburg wurde bereits geschlossen.

© Thilo Rückeis

Anders als "P&C" ist aber Leiser eine Berliner Gründung. Schon 1891 – noch 15 Jahre vor der Eröffnung des Geschäfts am Tauentzien – gab es den ersten Schuhladen in der Oranienstraße 34 in Bezirk-Kreuzberg: Der erst 17-jährige Julius Klausner hatte - frisch aus Galizien eingewandert - seinen Onkel Hermann Leiser, der damals noch Eierhändler war, zur Teilnahme an dieser Geschäftsidee überredet. In den zwanziger Jahren wurde Leiser sogar zum größten Schuh-Einzelhändler in Berlin, wie die Firma kommuniziert. Die repräsentativste Filiale in der Tauentzienstraße galt demnach schon sehr bald als Aushängeschild für das Unternehmen.

Mit der „Arisierung“ des Unternehmens 1937 – Klausner und Leiser waren Juden – war die Firmen-Familien-Geschichte aber nicht vorbei. Klausner kam nach dem Krieg als Mit-Geschäftsführer aus der Emigration zurück: Drei Filialen hatten den Bombenkrieg überstanden. Dem Wiederaufbau folgte die Expansion – etwa durch den Zukauf anderer Schuhfirmen, darunter „Stiller“.

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Diese zweite große Berliner Kette war 1975 von Leiser erworben worden, jedoch blieb der Name „Stiller“ lange Zeit bestehen. Wer neu nach Berlin kam, wunderte sich eine ganze Weile über das merkwürdige Namens-Phänomen, dem sogar ein Witz gewidmet wurde:

Fragt ein Tourist einen Berliner Polizisten: „Welches ist das nächste Schuhgeschäft?“

Polizist: „Leiser!“

Tourist (spricht leiser): „Welches ist das nächste Schuhgeschäft?“

Polizist: „Stiller!“

Tourist flüstert: „Welches ist das nächste Schuhgeschäft?“

Flagschiff-Filiale der Schuhhauskette Leiser am Tauentzien an einem gut besuchten Nachmittag vor der Pandemie.
Flagschiff-Filiale der Schuhhauskette Leiser am Tauentzien an einem gut besuchten Nachmittag vor der Pandemie.

© Thilo Rückeis

Infolge dieses und anderer Zukäufe berichtete der Tagesspiegel am 10. Dezember 1975: „Leiser besitzt nun in Berlin 18 eigene Verkaufsstellen, 16 Geschäfte des Schuhhauses Neumann, 14 Stiller-Geschäfte und neun von Stiller erworbene Schuhhof-Verkaufsstellen“.

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Zu diesem Zeitpunkt war der Gründer Klausner schon 25 Jahre tot, und die Firma wurde seither von seinem Geschäftspartner Dietrich Bahner von Augsburg aus weitergeführt – und zwar so erfolgreich, dass das Unternehmen zum hundertjährigen Gründungsjubiläum 1991 Firmenangaben 150 Filialen in ganz Deutschland sowie Prag führte. Diese Entwicklung ist allerdings seit langem gebrochen, wie die Schließungen der letzten Jahre zeigen. Den Stammkunden bleiben zwar noch die anderen Filialen. Aber die lange Geschichte von Tauentzien 20 ist im Juli mutmaßlich vorbei.

Vor Julius Klausners früherem Wohnhaus an der Fasanenstraße 83 in Charlottenburg erinnert ein Stolperstein an den Leiser-Gründer und seine Flucht vor den Nazis. Das Haus neben dem Delphi-Kino existiert nicht mehr.

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