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Berlin: Leuchten direkt ins Gewissen

Mit Taschenlampe auf Patrouille: Wie türkische Mütter gegen die Kreuzberger Drogenszene vorgehen

Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen streichen durch das Unterholz, holen Kellertreppen und Müllcontainer aus dem Dunkel, leuchten in nachtschwarze Spielplätze hinein. Zwölf Frauen patroullieren durch die verborgene Welt Kreuzberger Hinterhöfe. Sie haben weiße Westen übergezogen, bemalt mit einer schwarzen Fledermaus. Sie leuchten und rufen in das Gestrüpp hinein, um Menschen aufzuscheuchen, die sich darin vielleicht verborgen halten. Menschen, die Drogen auch an Jugendliche verkaufen.

Es ist die vierte Lichtaktion der „Mütter ohne Grenzen“, einer Initiative türkischer Frauen aus dem Kiez um Waldemarstraße und Mariannenplatz in Kreuzberg. Sie wollen es nicht mehr hinnehmen, dass ihre Kinder im Treppenhaus, auf dem Hof, auf dem Weg zur Schule und in den Parks auf Drogendealer treffen, die ihnen Stoff andrehen wollen, auf Junkies, die sich einen Schuss setzen, auf Depots mit weißen Tütchen oder weggeworfene Spritzen. Sie haben das Wegsehen satt, das Zurückweichen und Stillhalten. Das Licht ihrer Lampen soll den Dealern direkt ins Gewissen leuchten.

Der riesige Hof hinter der Naunynstraße ist menschenleer. „Erstaunlich ruhig“, sagt Güner Arkis, Kreuzbergerin aus Leidenschaft, Mutter von drei Kindern und Sprecherin der Initiative. Die Frauen gehen auf den Mariannenplatz, durch einen Pulk trinkender Jugendlicher, die es sich auf Parkbänken bequem gemacht haben. Frau Arkis, von Beruf Sozialarbeiterin, spricht die Gruppe an, erklärt ihnen die Aktion. 50 Meter weiter sitzen zwei ältere Jungs verdächtig still auf ihrer Bank, die Arme verschränkt, grinsend.

„Mütter ohne Grenzen? Schon mal irgendwie gehört“, sagt der Dunkelhaarige und lacht verkrampft. „Gottseidank sind wir keine Dealer. Von denen gibt’s ja hier richtig viele." Mehr als das Austauschen von Andeutungen passiert nicht. Man hat sich auch so verstanden. Das gehört zum Konzept der Initiative: keine Konfrontation. Nur ein wenig Scham hervorkitzeln. Wie es nur Mütter können, wenn sie mit ihren Söhnen sprechen.

Mütter ohne Grenzen bedeutet: Sie erkennen keine Tabus mehr an. Sie überschreiten die Grenze zur Männerwelt der Dealer und Kleinkriminellen. „Auch Moscheefrauen machen mit“, sagt Güner Arkis, Frauen also aus orthodoxen Familien. Die können zwar bei den Lichtaktionen nicht dabei sein, „aber dafür passen sie auf unsere Kinder auf oder leuchten vom Fenster aus in ihre Höfe“. Inzwischen gebe es 50 Sympathisantinnen, auch aus anderen Bezirken. Bisher gehören nur türkische Frauen zur Initiative. „Zwei deutsche Mütter sind wieder abgesprungen.“

Diesmal laufen drei türkische Männer mit, aber sie halten sich im Hintergrund, haben keine Fledermaus-Weste angezogen und keine Lampen mitgebracht. „Die meisten Väter denken, die Lösung des Drogenproblems ist allein Sache des Staates", sagt Ismail Aydin. Viele tolerieren aber auch das Dealen, weil sie es früher selbst gemacht haben oder ihre Sippe selbst involviert ist. „Das unmoralische Geldverdienen ist im Kiez total in“, sagt Sozialarbeiter Ercan Yasaroglu. „Die großen Dealer gelten als angesehene Geschäftsmänner, weil sie Geld haben. Das sind Mafia-Denkweisen.“

In einer Dunkelzone des Mariannenplatzes entdecken die Frauen eine Clique arabischer Jungs. Güner Arkis rennt plötzlich auf den Jüngsten zu, leuchtet ihm ins Gesicht, nennt ihn beim Namen, sagt fordernd „Du weißt es!“ Er weicht aus, sammelt sich. „Macht das Licht aus“, sagt einer der Älteren irritiert. Der Jüngere hat sich wieder gefangen, trumpft auf. „Gib mir 50 Euro und ich sag dir, wo die Dealer sind.“ Güner Arkis versucht zu diskutieren. Sie kennt den Jüngeren schon lange. „Der geht zur Schule, ist fast noch ein Kind.“ Als die Frauen weitergehen, ruft er ihnen hinterher: „Ich werde die ganzen Ticker benachrichtigen.“ Ticker, das sind die Drogenverkäufer.

Im Hof hinter der Mariannenstraße drehen zwei junge Männer ihre Gesichter zur Wand, fünf weitere Verdächtige stehen in Hauseingängen in der Mariannenstraße. Sie tragen Markenklamotten, ihre Frisuren sind wie aus dem Modeheft. Ihre Autos, große BMWs, parken quer auf dem Bürgersteig. Die Mütter ziehen vorbei, grüßen freundlich und ignorieren die Sprüche, die ihnen hinterhergeworfen werden. Nach zwei Stunden sind sie wieder zurück am Treffpunkt in der Kreuzberger Oranienstraße, nass vom Gewitterregen, aber mit dem Gefühl, das Richtige getan zu haben.

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