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Berlin: Manfred Klinke (Geb. 1947)

Auch Frauen führte er groß aus. Sofern sie ein paar Themen vermieden.

Die Ärzte hatten ihn vor die Wahl gestellt: Entweder Operation und die Chance auf Heilung oder Verzicht auf den chirurgischen Eingriff, mit dem Risiko, dass ihm kaum mehr als zwölf Jahre zu leben bleiben würden.

Er entschied sich gegen die Prostata- Operation, denn sie barg die Gefahr der Impotenz, und das war für ihn gleichbedeutend mit dem Verlust an Lebensfreude. Aber er wollte die Freude am Leben nicht verlieren, nie, zu keiner Zeit. Auch wenn es manchmal schien, als ob auf seinem Spielplan des Lebens „Tragödie“ als Überschrift geschrieben stand.

Er war ein Komödiant von Format, einer der sich nie ansehen ließ, ob er traurig war, oder verzweifelt. Er hatte immer ein Lächeln, für alle. Obwohl die Chancen anfangs nicht sonderlich gut gestanden hatten. Die Mutter zog ihn allein groß, der Vater hatte die Familie früh im Stich gelassen, das verzieh Manfred ihm nie. Eines Tages, als er schon sein Konfektionsgeschäft auf dem Ku’damm hatte und ein vermögender Mann war, kam ein älterer Herr in seinen Laden und gab sich als sein Vater zu erkennen. Manfred Klinke warf ihn hinaus. Seine Mutter hingegen hat er lebenslang vergöttert – und sie entsprechend eingekleidet. Ein einziges Mal hat er sie in einer Kittelschürze erwischt. „Mama! Wie scheußlich! Die wird jetzt auf der Stelle verbrannt.“

In den sechziger Jahren war Manfred Klinke von München nach Berlin gekommen, hatte Möbelkaufmann gelernt, Möbel auch selbst entworfen, weil er stets ein Faible für Design hatte. Er wechselte ins Modefach und eröffnete nach einigen Jahren auf dem Ku'damm, Ecke Schlüterstraße sein eigenes Modegeschäft: „Klin- ke Herrenmoden“, Designerware vom Feinsten, individuelle Beratung durch den Chef, Zufriedenheitsgarantie inklusive. Er hat gut verdient damals und gut gelebt.

Manfred Klinke war homosexuell, aber er setzte sich nie als Homosexueller in Szene, es sei denn, ein gut sitzender Anzug ist schon per se ein Indiz für sexuelle Eigenwilligkeit. Die Frauen liebten ihn für seine Eleganz, seinen Charme und sein Lachen. Er wiederum liebte schöne Frauen, umgab sich gern mit ihnen, führte sie groß aus. Sofern sie denn folgende Themen vermieden: Krankheit, Tod und Politik.

Er ließ keinen Kummer an sich heran – das war wohl seine ganz persönliche Wette mit dem Schicksal. Eine Wahrsagerin hatte ihm einst drei Dinge vorhergesagt, er würde noch einmal etwas ganz Neues anfangen, eine schwere Krankheit erleiden, aber er würde sie besiegen. Manfred Klinke ging davon aus, dass alles gut gehen würde – warum auch nicht?

Verzagen ist Sache der Verzagten. Den Vorwurf der Leichtlebigkeit, des Hedonismus ließ er sich gern gefallen. Hedonismus zehrt von der Einsicht, dass Jammern gegen die Kümmernisse des Lebens nicht hilft, beten auch nicht. Kochen zuweilen. Manfred Klinke war ein leidenschaftlicher Koch. Nicht Gourmetküche à la „eine Kalorie pro Lebensjahr“, sondern deftig, bayerisch: Braten, Kraut und Klöße. Er liebte es gut und schnell und teuer. Viele Reisen, repräsentative Wohnungen.

Sein Auto war ein Porsche 911, 1989 gebaut, Modell Carrera, schwarz, schwarze Ledersitze. Siebzehn Jahre fuhr er ihn, es war Liebe auf den ersten Blick gewesen damals, er ging in den Laden und hat ihn einfach gekauft. Das war seine Art, auch was Kunst anging. Er war ein leidenschaftlicher Sammler von schönen Dingen: Bilder, Skulpturen, Porzellan.

„Mit dem guten Geschmack ist es ganz einfach, man nehme von allem nur das Beste!“ Oscar Wildes Kaufempfehlung wird gern nachgeplappert, weil jeder, der Geld hat, inzwischen auch glaubt, er habe Geschmack. Aber so einfach ist das nicht. Man muss suchen und finden können. Manfred Klinke blieb immer auf der Suche.

Nach dem Mauerfall liefen die Geschäfte im Einzelhandel nicht mehr so gut, Anfang der neunziger Jahre verkaufte er seinen Laden und wechselte ins Partyfach.

Was sich heutzutage Eventmanager nennt, hieß in feudaleren Zeiten „Maître de Plaisir“. Der Unterschied, damals konnte man aus dem Vollen schöpfen. Das versuchte Manfred Klinke auch im Berlin der Jahrtausendwende. Ganz gleich, wer feierte – es musste immer perfekt sein: Ambiente, Menüfolge, Dekoration. Gespart hat er nie, das wurde ihm zum Verhängnis. 2008, im Krisenjahr, als plötzlich alle sparen mussten, lief gar nichts mehr. Er war seinen Auftraggebern zu teuer geworden.

Kein Problem, er selbst konnte auf Luxus verzichten, solange er nicht einsam war. 19 Jahre lebte er mit seinem Freund zusammen. „Du bist die Liebe meines Lebens“, hatte er ihm gleich zu Beginn gestanden. Völlige Harmonie, bis zum letzten Tag konnten sie sich streiten, immer um Banales, versteht sich. Er lebte mit ihm in den Tag hinein, ohne sich groß um die Zukunft zu sorgen.

Manche haben ihm diese Unbekümmertheit als Leichtlebigkeit, wenn nicht gar als Leichtsinn angekreidet, aber: Was ein Lachen wert ist, weiß man erst, wenn man es nicht mehr hört.

Die Wahrsagerin sollte nicht recht behalten. Der Krebs kehrte zurück. Er kam ins Krankenhaus. Wer ihn dort besuchen wollte, und das waren viele, der musste Gutes zu essen und zu trinken mitbringen. Das war Pflicht, froh zu sein miteinander, ein Lächeln zu zeigen, bis zum Schluss.

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