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Marienverein: Überrumpelt an der eigenen Haustür

Der Marienverein sammelt angeblich Spenden für Bedürftige. Doch Behörden und Ex-Mitarbeiter warnen vor Abzocke - der letztendliche Verwendungszweck des Geldes bleibt ungewiss.

Die Kleinanzeige klang gut: "Marienverein sucht freundliche Mitarbeiter/in in Vollzeit für den Außendienst zur Einholung von Beiträgen (Vereinstätigkeit), tägliche Auszahlung möglich." Der arbeitslose Hans Heise (Name geändert) bewarb sich – und verdiente bald mehr als 700 Euro monatlich. Nur wuchs mit jedem Euro auch sein schlechtes Gewissen. Tag für Tag wurde er mit Kollegen per Kleinbus in verschiedene Kieze gefahren, Klinken putzen: Klingeln, einen vom Verein gebastelten Sammelausweis des "Marienstifts für Nachbarschaftshilfe" vorzeigen und gemäß vorgegebenem "Sprachgerüst" um Spenden für die Betreuung Hilfsbedürftiger bitten.

45 Sammler seien täglich durch Berlin gezogen; pro Person kamen in sechs Stunden locker 100 Euro zusammen – gegeben oft von Leuten, die durchs Klingeln erkennbar überrumpelt waren oder nicht den Mut hatten, Nein zu sagen, wie Heise sich erinnert. Auf dem Heimweg wurden die abgearbeiteten Adressen und das Geld dem Fahrer gegeben, wobei die freiberuflichen Sammler 40 Prozent ihres Erfolgs gleich selbst behalten durften. Dieser Anteil war ihnen auch schriftlich zugesichert. Als seine Skrupel zu groß wurden, stieg Heise aus.

Undurchsichtiger Verwendungszweck des Geldes

Aufs Jahr hochgerechnet dürften allein die Berliner Marienstift-Sammler rund eine Million Euro an den Wohnungstüren kassiert haben. Für geworbene "Fördermitglieder" bekamen die Sammler sogar 50 Prozent Provision von deren Jahresbeitrag. Ziemlich viel also für einen steuerbegünstigten Verein, der laut Satzung "ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke" verfolgt: Altenbetreuung, Kinderprojekte, Rechtsberatung, Katastrophenhilfe.

Wer es genauer wissen will, findet im Internet zwar eine lange Aufzählung von angeblich unterstützten Einrichtungen, aber namentlich genannt oder verlinkt ist keine einzige davon. Dafür taucht umso öfter der "Zentrale Sammelruf" für zwölf Cent pro Minute auf. Es gibt je eine Nummer für die Berliner Filiale, die am Hultschiner Damm in Mahlsdorf residiert, und einen für die Kölner Dependance.

Gegen Marienstift läuft Anzeige wegen Betrugsverdachts

Dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI), das Spendensiegel für seriöse Vereine vergibt, ist der Marienstift suspekt: "Wir haben uns mehrfach an den Verein gewandt, aber bekommen von dort keine Unterlagen", sagt DZI-Geschäftsführer Burkhard Wilke und betont, dass das diese Verweigerung höchst ungewöhnlich sei. Und über die Internetseite des Marienstifts lässt sich zwar ein Newsletter abonnieren – aber auch nach zwei Monaten ist noch keine einzige Mail mit Informationen eingetroffen.

Nach zwei Marienstift-Sammlungen 2004 und 2005 in Thüringen prüfte das dortige Landesverwaltungsamt die Belege. Dabei blieb der Verein nicht nur den Nachweis über die korrekte Verwendung des Geldes schuldig, sondern lieferte auch Quittungen ab, die schon in Brandenburg und Niedersachsen eingereicht worden waren. Das Amt erstattete Anzeige wegen Betrugsverdachts und forderte alle Städte auf, dem Marienstift künftig keine Sammlungen mehr zu erlauben. In Berlin wäre das so einfach nicht möglich: Als Beitrag zur Entbürokratisierung müssen Spendensammlungen seit 2004 nicht mehr genehmigt werden.

Bei einem Gespräch im Berliner Marienstift-Büro behauptet die Vereinsvorsitzende: "Die Sammler bekommen lediglich ihren Aufwand ersetzt" wie beispielsweise Fahrscheine. Für die Haustürsammlungen liegt dem Tagesspiegel allerdings der Beweis des Gegenteils vor: Heises Provisionsvereinbarung, unterschrieben von der Frau, die jetzt von den hohen Provisionen nichts wissen will.

Wieviel Geld für gute Zwecke genutzt wird, ist nicht zu ermitteln

Sie hat zum Gesprächstermin einen Herrn Schneider mitgebracht, der sich als Rechtsberater des Vereins vorstellt und seinen Vornamen nicht nennen möchte. Die dürren Informationen über den Verein erklärt Schneider damit, dass man bisher vor allem im Kampf gegen die Negativpresse gebunden war. Die gab es auch reichlich, denn wo der Marienstift auch auftauchte – gern übrigens in Regionen, wo bereits etablierte Einrichtungen ähnlichen Namens existieren –, hagelte es Warnungen, böse Schlagzeilen und Distanzierungen von anderen Vereinen.

Als Beweis für die hehren Ziele des Marienstifts hat Schneider allerlei Dankesschreiben von Wohlfahrtsverbänden für überwiesene Spenden ausgebreitet. Die Stichprobe bei einem Caritas-Verband ergibt später jedoch, dass die örtlichen Behörden den Marienstift verdonnert hatten, einen Teil des gesammelten Geldes für lokale Projekte abzuliefern. "So sind wir dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kind – und haben uns halt bedankt", heißt es dazu bei der Caritas. Auch auf die Arbeiterwohlfahrt verweist Schneider. In ihrer Mahlsdorfer Filiale hört man: "Wir haben die vom Marienstift mal eingeladen, aber die wollten mit uns nichts zu tun haben."

Wie viel vom eingetriebenen Geld der Marienstift tatsächlich für gute Zwecke nutzt, ist nicht zu ermitteln. Die Berliner Chefin spricht von "vier, fünf Vollzeitmitarbeitern", die sich um Bedürftige kümmerten. Das reiche für den Berliner Kundenstamm.

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