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Mario Czaja und Franz Allert im Interview: „Diese Menschen sind Leistungsträger“

Wie ist Berlin in Sachen Inklusion aufgestellt? Die Initiatoren der Auszeichnung, Sozialsenator Mario Czaja (CDU) und der Präsident des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) , Franz Allert, im Gespräch.

Herr Czaja, seit März 2009 gilt in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention, die den Alltag und das Arbeitsleben von Menschen mit Handicap erleichtern soll. Wie wird sie in Berlin umgesetzt?

Das ist ein Prozess, der mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird. Berlin hat für seine Fortschritte unter anderem beim barrierefreien Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der barrierefreien Zugänglichkeit von Gebäuden den „Access City Award 2013“ erhalten. Damit ist Berlin aber noch nicht barrierefrei. Neben den Bedürfnissen mobilitätseingeschränkter Menschen werden wir uns künftig stärker den Belangen von Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen und geistigen Behinderungen widmen. Dafür sind etwa ein barrierefreies Internetangebot, ein barrierefreies Fernsehen und Informationen in Leichter Sprache nötig. Gerade hat meine Verwaltung mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales den Berliner Ratgeber für Menschen mit Behinderung in Leichter Sprache herausgegeben.

Wird Berlin damit der Konvention bereits gerecht?
Nein. Aber Berlin ist auf einem guten Weg. Ende November 2013 wurden im Abgeordnetenhaus erste Ergebnisse einer Prüfung von Berliner Rechtsvorschriften durch das Projekt „Monitoring-Stelle Berlin“ vorgestellt. Als erstes Bundesland lassen wir eine solche Normenprüfung von einer unabhängigen Stelle durchführen. In vielen Bereichen hakt es dagegen noch, etwa beim inklusiven Bildungssystem oder beim inklusiven Arbeitsmarkt. Am wichtigsten scheint mir, dass wir einen Bewusstseinswandel herbeiführen, damit Menschen mit Behinderung als ein normaler, bereichernder Bestandteil der Gesellschaft wahrgenommen werden.

Wie viel Geld soll zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention investiert werden?
Wenn unser Ziel eine inklusive Gesellschaft ist, dann unterscheide ich nicht zwischen Ausgaben für Menschen mit Behinderung und Ausgaben für Menschen ohne Behinderung. Denken Sie an das sogenannte Kneeling, das Absenken der Busse an der Haltestelle. Natürlich kommt ein solches Absenken Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung entgegen. Aber auch Sie freuen sich, wenn Sie bequemer in den Bus einsteigen können, oder Eltern mit einem Kinderwagen und viele Senioren in unserer Stadt. Die Kosten für das Kneeling sind letztlich Investitionen, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen. Natürlich gibt es im Rahmen der sogenannten angemessenen Vorkehrungen im Einzelfall Investitionen, die ausschließlich behinderungsbedingt verursacht sind. Diese lassen sich aber nicht näher quantifizieren.

Lageso-Präsident Allert fordert Vertrauen und Rücksichtnahme

Herr Allert, wie ist die Situation für Menschen mit Behinderung am Berliner Arbeitsmarkt?
Die Beschäftigungssituation von schwerbehinderten Menschen ist, trotz deutlicher Erfolge der letzten Jahre, auch in Berlin noch nicht zufriedenstellend. Mit Mitteln aus der Ausgleichsabgabe wollen wir dazu beitragen, dass mehr Menschen mit Schwerbehinderung regulär beschäftigt werden können und bestehende Arbeitsverhältnisse erhalten bleiben. Dabei handelt es sich um Leistungen an schwerbehinderte Menschen und deren Arbeitgeber. 2012 waren dies 27Millionen Euro. Es gibt viele gute Beispiele, bei denen es gelungen ist, Arbeitgeber von den Vorteilen zu überzeugen. Seit 2003 wird das besondere Engagement bei der Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben durch den Inklusionspreis gewürdigt. Arbeitgeber, die schwerbehinderte Menschen vorbildlich beschäftigen oder ausbilden, zeigen anderen, wie Inklusion im Betrieb gelebt werden kann.

Eine der Initiativen in Berlin ist der Integrationsdienst Selbstständigkeit. Wie funktioniert das Projekt?

Das Angebot umfasst das klassische Gründungs-Know-how, also Themen wie Unternehmerpersönlichkeit, Geschäftsidee, Rechtsform und Formalitäten. Dabei spielen technische Arbeitshilfen und die Arbeitsorganisation, aber auch psychosoziale Barrieren auf Seiten des Gründers selbst sowie auf Kundenseite eine Rolle. Menschen mit Schwerbehinderung, die sich beruflich selbstständig machen, schaffen sich so einen eigenen Arbeitsplatz. Manche werden sogar zum Arbeitgeber für andere. Ich wünsche mir, dass noch mehr Berliner mit Handicap von diesem Angebot Gebrauch machen.

Arbeitgeber scheuen sich häufig davor, Arbeitnehmer mit Behinderung einzustellen. Welche „Berührungsängste“ gilt es zu überwinden?
Oft wird Behinderung mit Krankheit gleichgesetzt – mit Arbeitsunfähigkeit. Dabei ist es häufig umgekehrt so, dass schwerbehinderte Beschäftigte besonders engagiert und zuverlässig sind. Zum Glück haben viele Berliner Arbeitgeber längst die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit Handicap Leistungsträger in ihren Unternehmen sind. Häufig brauchen schwerbehinderte Beschäftigte gar keine spezifische Unterstützung im Arbeitsleben. Um sich beweisen zu können, reichen oftmals einfach Vertrauen und Rücksichtnahme von Arbeitgebern und Kollegen. All dies funktioniert aber nur, wenn die Beteiligten über die notwendigen Informationen verfügen. Aufklärungsarbeit ist daher besonders wichtig.

—Die Fragen stellte Tanja Tricarico

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