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Ärzte raten dringend zu Impfungen gegen Masern. Sie sind unter Umständen lebensgefährlich.

© dpa

Masernerkrankungen in Berlin: Viele Eltern unterschätzen die Masern

So viele Berliner wie seit langem nicht mehr sind erkrankt. Ärzte warnen vor Lebensgefahr – und raten dringend zur Impfung.

Die Zahl der Masernerkrankungen in Berlin ist auf dem höchsten Stand seit Jahren. 159 Menschen erkrankten allein in den ersten zehn Monaten dieses Jahres an dem Virus. Dabei war die Krankheit in Berlin schon fast verschwunden. 2003 gab es nur zwei Infektionen, acht waren es 2007, von da stieg die Zahl auf 33 im Jahr 2009 und auf 92 im Jahr 2010. Und die Krankheitsverläufe werden immer schwerer. In 54 Prozent der Fälle mussten die Erkrankten in einer Klinik behandelt werden, sagt Silvia Kostner, Sprecherin des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso). Erkrankt waren nicht nur Kinder, sondern auch Jugendliche und Erwachsene. Nach Angaben des Lageso treten zudem vermehrt Fälle auf, in denen Babys unter einem Jahr betroffen waren. Den letzten tödlichen Masernfall gab es 2004.

„Masernviren gehören zu den gefährlichsten, die wir kennen, denn es besteht bei ihnen eine hundertprozentige Ansteckungswahrscheinlichkeit. Wer sich infiziert, erkrankt auch nahezu immer“, warnt Susanne Glasmacher, Sprecherin des RKI. Masern sind keinesfalls eine harmlose Kinderkrankheit. Häufige Komplikationen sind Lungen- oder Mittelohrentzündung. Vor allem für Kleinkinder können die Folgen fatal sein und im schlimmsten Fall selbst Jahre nach der Ansteckung zum Tod führen. Dies zeigt der Fall eines Mädchens in Aschaffenburg, über den der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte derzeit informiert. Die Sechsjährige hatte sich im Alter von sieben Monaten bei einem Erwachsenen angesteckt und war erst fünf Jahre später an einer chronischen, unheilbaren Gehirnentzündung als Folge der Infektion erkrankt. Diese Krankheit verläuft laut Ärzteverband immer tödlich.

„In Berlin mangelt es vor allem an der konsequenten Durchimpfung gegen Mumps, Masern und Röteln“, sagt Klemens Senger, Vorsitzender des Berliner Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Nach der ersten Spritze stelle sich bei vielen Eltern eine Impfmüdigkeit ein, weil sie die schlimmen Folgen dieser Krankheiten nicht kennen würden, sagt der Kinderarzt. Erst die zweite Impfung, die in der Regel vier bis sechs Wochen später erfolgen sollte, garantiert aber einen ausreichenden Schutz. Hier sei mehr Aufklärung notwendig. Auch Röteln und Mumps können schwere Krankheitsverläufe haben; bei diesen Krankheiten steigt das Risiko von Komplikationen im Erwachsenenalter. Eine Impfpflicht hält Senger hingegen nicht für zielführend. „Die Entscheidung muss bei den Eltern bleiben, denn sie haben eine Verantwortung für ihre Kinder, die man stärken muss und nicht von Seiten des Staates wegnehmen darf“, sagt Senger.

Eine Impfpflicht gab es hingegen in der ehemaligen DDR; bis heute sind deswegen nach Angaben der Senatsgesundheitsverwaltung die Impfraten im Ostteil der Stadt immer noch höher als im Westteil. Insgesamt haben in Berlin rund 89,1 Prozent der Schulanfänger einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern. Bundesweit liegt die Quote bei 90,2 Prozent.

Kinderarzt Senger hält die Masernimpfung für alternativlos. Angesichts der Tatsache, dass die Krankheit zu geistiger Behinderung oder gar zum Tod führen könne, „ist es mehr als makaber zu sagen, lass doch die Kinder die Kinderkrankheiten kriegen“, sagt er. Zudem sei die These falsch, man fördere mit Impfungen autoimmune Erkrankungen. Eher sei das Gegenteil der Fall. „Aktuelle Studien belegen, dass frühzeitig geimpfte Kinder weniger Allergien haben“, sagt Senger. Auch die Verwaltung von Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) und Ärzteverbände fordern Eltern immer wieder dazu auf, ihre Kinder impfen zu lassen.

Manchmal treten Masernfälle regional gehäuft auf. Als im Mai im Märkischen Viertel in Reinickendorf zehn Fälle registriert wurden, richtete Gesundheitsstadtrat Andreas Höhne (SPD) den Appell an die Bewohner, ihren Impfstatus zu überprüfen und sich und die Kinder gegebenenfalls impfen zu lassen.

Dennoch machen Berliner Eltern immer wieder die Erfahrung, dass Kinderärzte – vor allem aus dem anthroposophischen Milieu – Impfungen skeptisch gegenüber stehen. Einen Masernausbruch gab es im vergangenen Jahr an einer anthroposophisch orientierten Waldorfschule in Zehlendorf. Über einen Schüler sollen insgesamt 62 Menschen angesteckt worden sein. Nach behördlicher Anordnung durften nicht-geimpfte Schüler zeitweise nicht in den Unterricht kommen. Ein Vater, der den Schulbesuch seines nicht-geimpften Kindes durchsetzen wollte, scheiterte vor dem Verwaltungsgericht. Von den Schülern der Schule waren nur 70 Prozent gegen Masern geimpft.

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