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Berlin: Mauer günstig abzugeben

29 Meter Stahlbeton stehen in Mitte zum Verkauf – denkmalgeschützt samt Grund und Boden

Die East Side Gallery ist es nicht gerade. Eher eine Übungsfläche für junge Graffiti-Sprayer mit Rechtschreibschwäche. „Natzi rein“ hat einer mit roter Farbe auf den bröckelnden Beton gesprüht. Daneben haben andere Sprayer einen deutsch-deutschen Disput ausgetragen. „DDR+BRD=Vaterland“ hat einer geschrieben. „Nein“ hat ein anderer hinzugefügt. Ein dritter hat versucht, „DDR“ mit der kryptischen Kombination „3R“ zu übermalen.

Das Stück Mauer in der Schwartzkopffstraße in Mitte ist keine Schönheit. Jetzt aber erlangt das 29 Meter breite, etwa drei Meter hohe Stahlbetonbauwerk dennoch eine gewisse Bekanntheit. Denn es ist das wohl erste Stück Berliner Mauer, das mitsamt dem Boden, auf dem es steht, von einem privaten Käufer erworben werden kann. „Das ist in Berlin einzigartig“, sagt Auktionator Hans Peter Plettner, der das 650-Quadratmeter-Grundstück am 11. Dezember versteigern will. Den Auftrag hat ihm die Wohnungsbaugesellschaft Mitte gegeben. Nach Willen der Behörden soll der neue Eigentümer auf der kleinen Grünfläche ein Wohn- und Geschäftshaus bauen. 75 000 Euro will die Deutsche Grundstücksauktionen AG als Mindestgebot.

Ein Schnäppchen, findet der Auktionator: „In den USA wurde neulich ein Drei-Meter-Stück Mauer für 100 000 Dollar verkauft – und das ohne Grundstück dazu.“ Das war allerdings ein Stück „Vorderlandmauer“ von der ehemaligen Westseite. Das graue Stück Stahlbeton in der Schwartzkopffstraße hingegen ist eine „Hinterlandmauer“, wie das damals bei den Grenzsoldaten hieß, also deutlich schlichter und niedriger als das Westseiten-Pendant. Aber immer noch eindrucksvoll genug, um zu protzen, findet Plettner. Und denkmalgeschützt sei das Bauwerk auch. „Das wäre genau das Richtige für einen wohlhabenden Amerikaner, der nach Berlin zieht und dann seinen Bekannten zeigen will, dass er ein Stück echte Mauer im Garten hat.“ So ein Bieter, hofft der Auktionator, würde dann statt des Mindestgebots gerne ein paar Hunderttausend Euro bezahlen.

Einen Dämpfer erhält der Optimismus des Auktionators von den Anwohnern des Mauerstücks. Die Rentnerin Brigitte Wegmann bezweifelt gar, ob man das Betonstück überhaupt als Berliner Mauer bezeichnen kann. „Das soll die Mauer gewesen sein? Ist doch albern!“, sagt die 65-Jährige spöttisch. „Das war doch nur eine Begrenzung, damit man nicht auf die Bahngleise dahinter lief – und gebaut wurde sie schon vor ’61.“ Und das weiß-rote Metallrohr, das in Kniehöhe vor der Mauer verläuft, laut Auktionator Plettner ein authentischer „Schlagbaum“? „Dass ich nicht lache“, sagt Frau Wegmann. „Das war kein Schlagbaum, sondern eine Absperrung, damit wir beim Parken nicht gegen die Mauer fahren.“

Wenn Brigitte Wegmann in ihrem Schlafzimmer auf dem Heimtrainer sitzt, kann sie den Rasen und die Bäume vor der Mauer sehen. Dahinter verläuft die alte Kontrollstrecke, auf der Grenzpolizisten bis 1989 Patrouille fuhren. Heute rauscht hier nur noch die S-Bahn vorbei. „Begeistert bin ich nicht, wenn die da was Neues hinbauen“, sagt Frau Wegmann. „Wenn die Bäume wegkommen, ist es vorbei mit der schönen Aussicht.“

Falls Hans Peter Plettner am 11. Dezember überhaupt einen Käufer findet. Zwar hätten sich bislang schon einige Interessenten gemeldet, sagt der Auktionator. „Der reiche Amerikaner aus Connecticut hat aber noch nicht angerufen.“

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