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Ein Mann fährt mit dem Fahrrad auf einem Radweg.

© Annette Riedl/dpa

Streit um „Pop-up-Radwege“: Radverkehr in Berlin hat in Coronakrise nachweislich zugenommen

Der ADAC kritisiert den schnellen Bau von Radwegen. Tatsächlich werden derzeit weniger Fahrräder auf den Straßen gezählt. Doch die Statistik trügt.

Nachdem Friedrichshain-Kreuzberg kräftig vorgelegt hat, arbeiten jetzt auch andere Bezirke am Ausbau ihres Radwegenetzes mit Provisorien: Etwa zehn Kilometer „Pop-up-Radwege“ sind bereits entstanden, mindestens ebenso viele in Arbeit oder kurzfristig geplant.

Obwohl damit im Wesentlichen nur das seit fast zwei Jahren geltende Mobilitätsgesetz angewandt wird, hält die Debatte über die Umverteilung des Platzes an. Kritiker – namentlich der ADAC – erklären, dass wegen der Coronakrise auch der Radverkehr abgenommen habe.

Auf den ersten Blick scheint diese Behauptung zu stimmen. Aber bei genauerer Betrachtung erweist sie sich als falsch, wie eine Auswertung der verfügbaren Daten zeigt.

17 Dauerzählstellen messen Radverkehr in Berlin

Der aussagekräftigste Indikator für den Radverkehr in Berlin sind die Daten der 17 Dauerzählstellen, die über Sensoren in der (Rad-)Fahrbahn erfasst und tagesaktuell online veröffentlicht werden. Für den Zeitraum vom 15. März bis 1. Mai 2019 meldet die Software insgesamt knapp 2,67 Millionen Fahrradpassagen an diesen Zählstellen.

Im Vergleichszeitraum 2020, also in der Hochphase der Corona-Beschränkungen, wurden tatsächlich nur gut 2,24 Millionen Fahrräder registriert. Das entspräche einem Rückgang von reichlich acht Prozent.

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Allerdings fehlen in diesem Jahr die Daten von der Oberbaumbrücke, deren Sensoren der Fahrbahnsanierung im vergangenen Herbst zum Opfer gefallen sind. Während die Spreequerung im Vorjahreszeitraum mit 493 000 Fahrrädern die meistfrequentierte Zählstelle war, geht sie jetzt mit null in die Statistik ein – und senkt Summe und Durchschnittswert entsprechend deutlich.

Mehr Fahrräder als vor einem Jahr

Nimmt man für die Oberbaumbrücke dieselbe Radverkehrsmenge wie im Vorjahr an, ergeben sich 2,74 Millionen Fahrräder. So wird aus dem vermeintlichen Rückgang ein Plus von knapp drei Prozent. Real dürfte der Radverkehr auf der Oberbaumbrücke nach der Sanierung eher zugenommen haben, was das Plus noch vergrößern würde.

[In Berlin-Spandau ist die Zahl der Fahrradfahrer nur gering gestiegen - hier die Zahlen. Aber dort gibt es eine Debatte um Pop-up-Busspuren auf der Heerstraße. Immer konkret aus Ihrem Kiez - die Bezirksnewsletter: leute.tagesspiegel.de]

Angesichts der drastischen Rückgänge bei anderen Verkehrsarten ist dieser Zuwachs bemerkenswert. Dass er plausibel ist, zeigen die anderen 16 Zählstellen: Zwölf von ihnen registrierten während der gravierendsten Corona- Beschränkungen mehr Fahrräder als vor einem Jahr.

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Deutliche Rückgänge gab es nur an der Jannowitzbrücke und am Kaisersteg in Schöneweide – einer Hauptanbindung der Hochschule für Technik und Wirtschaft.

Zur Entwicklung des Fußverkehrs gibt es mangels ständiger Erfassung keine Daten. BVG und S-Bahn registrierten bis zu 80 Prozent Fahrgastschwund. Inzwischen sind Busse und Bahnen wieder voller, aber lange nicht auf Vorkrisenniveau.

Bis zu einem Drittel weniger Autoverkehr

Präzise Daten gibt es zum Autoverkehr – dank knapp 300 automatischer Zählstellen im Hauptstraßennetz und 800 auf der Stadtautobahn und deren Zufahrten. Stadtweit ging demnach der Autoverkehr in den ersten Wochen der coronabedingten Beschränkungen um ein Viertel bis ein Drittel zurück. Seit Ostern nimmt er wieder zu.

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„Aktuell liegt das Kfz-Verkehrsaufkommen um etwa 20 Prozent unterhalb des Mittels von Anfang März“, teilt die Verkehrsverwaltung mit. Eine seriöse Aufschlüsselung nach Pkw und Lastwagen sei kurzfristig nicht möglich. Nach Tagesspiegel-Informationen sind die unbearbeiteten Messdaten – als Indiz für die Fahrzeugkategorie dient dessen Länge – nicht valide genug, zumal auch kleine Kastenwagen formal oft Lkw sind. So bleibt gesichert nur, dass überall wieder mehr los ist – und auf den Radwegen mehr denn je.

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