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Menschenrechtsgerichtshof: Berlin muss mehr Schwerverbrecher freilassen

Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dürfen in Berlin weitere neun Gewalttäter aus dem Gefängnis. Innensenator Körting übt Kritik.

Die Zahl der Schwerverbrecher, die aus der Sicherungsverwahrung freigelassen werden müssen, ist weit höher, als bislang von der Justizverwaltung mitgeteilt. Bislang hatte Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) von sieben Gewalttätern gesprochen, die durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg vor der Entlassung stehen. Die Zahl bezieht sind jedoch nur auf jene, die schon jetzt von der umstrittenen Entscheidung profitieren. In Tegel freuen sich weit mehr auf die Freiheit.

Wie es unter Gefangenen hieß, müssen mindestens neun weitere der derzeit knapp 40 Sicherungsverwahrten in den nächsten Jahren nach und nach entlassen werden – und zwar immer dann, wenn sie zehn Jahre Sicherungsverwahrung (SV) abgesessen haben. Ein Justizsprecher bestätigte dies gestern.

Wie berichtet, hatten die europäischen Richter bemängelt, dass Deutschland im Jahr 1998 die Höchstgrenze von zehn Jahren SV einfach gestrichen hatte. Wer also seine Tat vor der Gesetzesänderung am 31. Januar 1998 begangen hat, kommt nach zehn Jahren Sicherungsverwahrung frei – auch, wenn er von Gutachtern weiterhin als gefährlich eingestuft wird. Nur wer die Tat nach 1998 begangen hat, kann unbegrenzt in SV behalten werden.

Der erste auf der Liste jener, die ebenfalls frei kommen sollen, ist Wolfgang W. Er war 1997 wegen Körperverletzung zu knapp drei Jahren Gefängnis mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Am 22. Dezember dieses Jahres hat Wolfgang W. das Maximum von zehn Jahren abgesessen.

Unterdessen nimmt der politische Druck zu, die Freilassungen doch noch zu verhindern. So sagte Innensenator Ehrhart Körting jetzt: „Die europäische Rechtsprechung berücksichtigt zwar die Belange der Täter, aber nicht ausreichend die Belange möglicher künftiger Opfer.“ Körting forderte, genau zu prüfen, „welche Möglichkeiten“ es rechtlich noch gibt. Dem Vernehmen nach will die Justiz alle Gewalttäter vor ihrer Entlassung psychiatrisch untersuchen lassen, um sie möglicherweise in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Unter Juristen wird zudem erwartet, dass die Berliner Justizverwaltung die Freilassung durch juristische Winkelzüge noch einige Monate verschleppen wird, da sich das Bundesverfassungsgericht im Oktober dieses Jahres noch einmal mit der Sicherungsverwahrung beschäftigen will. Experten erwarten, die Entscheidung aus Karlsruhe könne wegweisenden Charakter haben.

Dennoch ist es wahrscheinlich, dass alle Männer aus dem Gefängnis kommen. Kürzlich kam in Hessen jener Schwerverbrecher frei, der 2009 das Urteil der europäischen Richter erstritten hatte. Der Bundesgerichtshof hatte in seinem Fall klar entschieden, die Entscheidung der Straßburger Richter müsse in Deutschland umgesetzt werden.

Vermutlich muss die Polizei das Problem auffangen. Alle Straftäter dürften „knallharte, umfangreiche und engmaschige Führungsauflagen“ bekommen, wie Anwalt Steffen Tzschoppe sagt, also Meldeauflagen und unangemeldete Besuche durch die Polizei zum Beispiel. Tzschoppe hat für vier Sicherungsverwahrte einen Antrag auf Entlassung gestellt und erwartet eine „zeitnahe Entscheidung“. Die Justiz hält ebenfalls „eher Wochen als Monate“ für wahrscheinlich. Problem sei eben nur, dass alle Männer hochgradig gefährlich seien.

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