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Im Bericht wird ein Leitfaden der Bundesagentur für Arbeit erwähnt, der rumänische und bulgarische Personen mit Leistungsmissbrauch in Verbindung bringt.

© imago images/Schöning

Update

„Menschenverachtende Klischees“: Bericht zeigt Antiziganismus in Berlin – häufig Probleme mit Behörden

Der Verein Amaro Foro hat Beispiele gesammelt, bei denen Sinti und Roma benachteiligt wurden. Vor Beschwerden haben viele Betroffene Angst.

Sinti und Roma - oder Menschen, die als solche wahrgenommen werden - sind in Berlin immer wieder Opfer von Diskriminierungen. Das zeigt ein Bericht der Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) des Vereins Amaro Foro, der am Dienstag vorgestellt wurde.

Dafür wurden antiziganistische Vorfälle aus den Jahren 2019 und 2020 gesammelt. Ziel sei es, die Gesellschaft für Antiziganismus zu sensibilisieren, schreiben die Autor:innen.

Mehr als 200 Vorfälle seien gemeldet worden, "davon fast die Hälfte in Leistungsbehörden", heißt es von Amaro Foro. So ging es etwa um Fälle von rechtswidriger Ablehnung der Antragsstellung, das Anfordern von irrelevanten Unterlagen und um das Anzweifeln von Angaben.

Im Bericht wird auch ein - inzwischen geänderter - Leitfaden der Bundesagentur für Arbeit von 2018 erwähnt, der rumänische und bulgarische Personen explizit mit Leistungsmissbrauch in Verbindung bringt.

Das könne existenzielle Auswirkungen auf Betroffene haben, kritisieren die Autor:innen. Die Pandemie habe den Kontakt zu Behörden und anderen Einrichtungen erschwert, Verfahren seien nicht vereinfacht worden.

Im Kontakt mit Polizei und Justiz seien Roma immer wieder von "Racial Profiling" betroffen: Betroffene Personen müssen sich allein aufgrund ihrer Hautfarbe einer Kontrolle unterziehen - das ist spätestens seit Inkrafttreten des Berliner Antidiskriminierungsgesetzes (LADG) im vergangenen Sommer verboten.

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Im Bildungsbereich wurde laut des Berichts vor allem Mobbing von Kinder und ihren Eltern durch Mitschüler:innen und Lehrkräfte registriert. Auch mangelnde Homeschooling-Möglichkeiten schließe viele betroffene Kinder von Bildung aus. Das könne sich negativ auf künftige Chancen im Arbeitsmarkt auswirken, warnen die Autor:innen.

Pandemie verstärkt rassistische Ressentiments

Aus dem Bericht geht deutlich hervor, in welchem Umfang die Pandemie die Situation für Sinti und Roma verschärft. Amaro Foro konnte seine Beratung nicht umfänglich anbieten, im Kontakt mit Behörden weniger helfen. Wenn etwa keine Schulbescheinigung ausgestellt werden konnte, hatte das Folgen für die Auszahlung von Sozialleistungen.

Besonders scharf kritisiert der Verein den Lockdown einzelner Neuköllner Wohnblöcke im Juni 2020, nachdem es dort zu Corona-Ausbrüchen gekommen war. Auch der Umgang von Medien und Politik damit sei falsch gewesen und habe etwa dem Pressekodex widersprochen.

"Im Windschatten der Pandemie wurden hier menschenverachtende Klischees bedient und Fehlinformationen publiziert, welche den Bewohner:innen aufgrund ihrer vermeintlichen ethnischen Zugehörigkeit und ihrer Lebensweise subtil die Schuld für den Ausbruch des Virus gaben."

Gesetzeslage in Berlin lässt auf Verbesserung hoffen

Der veröffentlichte Bericht nennt aber auch Fortschritte im Kampf gegen antiziganistische Diskriminierung. So sei mit dem LADG eine Ombudsstelle geschaffen worden, die Menschen mit geringem Einkommen und wenigen Deutschkenntnissen helfe, ihre Rechte wahrzunehmen. Durch das kürzlich verabschiedete Landesgesetz zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft sei außerdem die Einrichtung eines Beirats für die Belange von Roma und Sinti beschlossen worden.

Der Verein betont, dass Antiziganismus kein Randproblem der Gesellschaft sei, sondern aus ihrer Mitte komme. "Noch gravierender scheinen uns jedoch die strukturellen Entwicklungen zu sein", hieß es vorab. Um dem entgegen zu wirken, bietet der Verein Schulungen an.

Betroffene fürchten Konsequenzen nach Beschwerden

Auf der Podiumsdiskussion nach der Vorstellung des Berichts berichtet Laura Bastian, Sozialberaterin bei Amaro Foro mit Beispielen von „Racial Profiling“ bei Leistungsbehörden. Es werde akribisch nach Wohnverhältnissen von Personen gefragt. „Man macht sich einfach nackig vor der Behörde.“

Das würde eine massive psychische Belastung mit sich bringen. Die Situation sei für Betroffene unheimlich schikanierend. Sie würden auch von den Behörden oft in vagen Verhältnissen gelassen, sagte Bastian und führte als Beispiel an, dass Wohnunterbringungen teilweise nur wöchentlich verlängert würden.

Auch hätte ein Mitarbeiter einer Leistungsbehörde geäußert, dass Rumänen für Betrug bekannt wären. Auf Bastians Nachfrage ob es dazu statistische Anhaltspunkte gäbe, hätte die Behörde ablehnend reagiert.

Biplap Busu, Berater bei "ReachOut", sprach eingehend über die Folgen von Racial Profiling bei der Polizei. Gerade Roma unterstünden dem Generalverdacht von Diebstahl und werden Opfer solcher Maßnahmen. Laut Busu würden Betroffene so verheerend eingeschüchtert, dass sie Angst haben vor Konsequenzen hätten, wenn sie sich gegen rechtswidrige und rassistische Maßnahmen wehren würden.

Dieser Beobachtung schloss sich Sozialberaterin Bastian an. Sie beobachte auch, dass Klientinnen lieber ihre Fälle bei der anonymen Stelle Dosta von Amaro Foro melden als beispielsweise bei der Beschwerdestelle des Jobcenters. Die wollten personenbezogene Daten und Antragsstellende fürchteten die Konsequenz von Beschwerden. Die Leiterin der LADG-Ombudsstelle Doris Liebscher sieht das Antidiskriminierungsgesetz als Meilensteinprojekt in Berlin, aber äußert auch Kritik. Berliner Behörden seien selten Diskriminierungssensibel. Bei Bundesbehörden, wie den Leistungsbehörden greift das LADG nicht. Leistungsbehörden wie die Agentur für Arbeit fallen daher nicht unter das Berliner Recht.

Liebscher findet es sei Zeit für ein Bundesantidiskriminierungsgesetz. Wie das eingeleitet werden könne? Indem Vereine, die marginalisierte Gruppen vertreten, Druck auf politische Akteure aufbauen.

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