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Getätschelt. Ben Wagin lernte Michael Müller kennen, als der zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde. Jetzt eröffneten beide eine neue Ausstellung.

© dpa

Michael Müller und Ben Wagin am Nordbahnhof: Ein Kunstwerk im Glanze des Bald-Bürgermeisters

Ortstermin mit Bausenator. Der Bald-Regierende Michael Müller kann auch Kultur, strahlt noch vom Sieg – und schweigt weiterhin zu Personalien.

Ben Wagins schwarze Lederkappe glänzt im Licht der Kameras. Die Security stoppt einen Reisenden, der sein Rad im Nordbahnhof anketten will. Da kommt schon der Pulk, der die Mächtigen ankündigt, und es tritt auf der Bald-schon-Regierende Michael Müller. Federnder Schritt, strahlende Augen, der Sieg in der Kandidatenkür der SPD steht ihm gut zu Gesicht. Er genießt das Comeback, das ihm wenige zutrauten, das Lächeln will nicht weichen – dabei muss er jetzt gedenken.

Eine „Aktenmauer“ hat Künstler Wagin im Bahnhof aufgebaut: aufgetürmte Europaletten, Kacheln aus Spritzbeton, weiße Wachturm-Miniaturen aus Pressspan und CDs. Ben Wagin, der das Parlament der Bäume pflanzte, bevorzugt kraftvolle Symbole. Für Müller eine Steilvorlage, er lädt sie auf mit aktuellen Erkenntnissen, wonach der Westen sogar noch profitierte vom Unrecht im Osten, wo billige Arbeitskräfte für Möbel-Multis und Textilfirmen schuften mussten – dafür stehen die Paletten. „Peinlich und unwürdig“, nennt Müller diese Zwangsarbeit der Stasi-Häftlinge. Verantwortung leitet er daraus ab und auch aus dem Glück, dass die Mauer „ohne Blutvergießen, friedlich überwunden“ wurde.

Dann folgt ein Rundgang um das Kunstwerk mit S-Bahn-Chef Karsten Preißel. Der kündigt einen „Mauer-Spezial-Tarif“ für Fahrten zu den Orten des Gedenkens und ins ganze Netz an, drei Tage lang für 15 Euro, ab 7. November. Ist Müller der Regierende der Herzen in Wirtschaftskreisen, möchte man wissen? Preißel ringt mit sich und um die richtigen Worte, lässt sich dann aber nichts entlocken, jedenfalls nichts Persönliches: „Es ist ein tolles Zeichen, dass er heute hier ist.“

Müller bekommt einen Umschlag und spielt den Entsetzten

Müller wird da schon von anderen belagert, ihm wird ein beigebraunes Kuvert überreicht: „Man gibt doch keine Umschläge an Politiker, Mensch“, sagt der. Ein weißer Briefumschlag mit 40 000 Mark in bar, diese Parteispende an den damaligen CDU-Chef kostete die Christdemokraten vor 14 Jahren die Macht in Berlin und ebnete Müller den Weg, zunächst als Wowereits Libero. Bis heute hat sich die CDU davon nicht wirklich erholt, in neuesten Umfragen liegt die SPD vorne, mit 27 Prozent.

Und jetzt, wo Müller raus ist aus dem Schatten von Klaus, scharen sie sich um ihn mit ihren Wünschen und Hoffnungen. In der Entourage des Druckers aus Tempelhof nennen sie es „absurd“, wer sich alles selbst in Stellung bringt oder bei dem künftigen Regierenden ins Spiel für die anbrechende Amtszeit.

Wer Müllers Beraterin Daniela Augenstein zu ihrem Job als künftige Senatssprecherin beglückwünscht, erhält zur Antwort: „Da wissen Sie mehr als ich, es gibt viele gute Sprecher in der Stadt.“ Demut signalisiert das und Respekt vor dem, der schon als Bausenator den Fluss der Worte kontrollierte bis zur Ermattung. Jetzt trägt er Anzug und Binder in staatstragendem Schwarz, kleine weiße Karos auf der Krawatte zum weißen Hemd und bereitet die Besetzung im Geheimen vor.

Am Dienstag fragte er Parteichef Frank Henkel aus nach den Begehrlichkeiten in der CDU. Mit der eigenen Fraktion wird er ganz sicher auch verhandeln. Aber „bisher drang nie was nach draußen, weil ich mich nur mit Wowereit abstimmte und in Zukunft nicht, weil ich mich nur noch mit mir selbst abstimme“, sagt Müller.

„Er hat ein starkes Mitgliedervotum und das gibt ihm erfreulich große Unabhängigkeit in der Entscheidung der zu besetzenden Posten“, fasst es der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz zusammen. Weil die Basis entschied, hatten Deals mit Parteifunktionären wenig Wirkung. Und die zurzeit gehandelten Personalien? „Wer den Kopf zu früh hochmacht, ist schnell einen kürzer“, bringt es ein lang gedienter Parteisoldat auf den Punkt. Dilek Kolat als Finanzsenatorin? Das wird als Idee des unterlegenen Kandidaten Jan Stöß gehandelt – und dessen Verhältnis zu Müller ist angespannt.

Dass Stöß ihn als Parteichef verdrängte, soll Müller ihm bis heute nachtragen. Und auch das entspanntere Verhältnis zu Raed Saleh lässt diesen nicht zur Personalie für Senat oder Verwaltung avancieren – weil er mehr Macht als Fraktionschef innehat. Eher im Kreis der Vertrauten und Begleiter muss man nach Kandidaten suchen: Müllers Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup könnte ihn als Bausenator beerben, er treibt die Dinge mit dem gleichen Arbeitsethos voran – nüchtern, aber durchsetzungsfähig. „Vor der Wahl von Müller am 11. Dezember wird es niemand erfahren“, sagt einer, der nicht genannt werden will. Denn enttäuschte Sozis könnten wie düpierte Liebhaber auf Rache sinnen und Müller bei der Wahl zum Regierenden die Liebe entziehen, mit ihrer Stimme. Das wird Michael Müller, der Stratege, nicht riskieren. Warum sollte er auch?

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