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Mick Jagger ist auf der Bühne in seinem Element.

© AFP PHOTO / Tobias SCHWARZ

Mick Jagger und Co in Berlin: Rolling Stones rocken das Olympiastadion

Wieder da, immer noch da, nie weg gewesen: Am Freitagabend spielten die Stones in Berlin, und es war zugleich Gesamtkunstwerk und Spektakel.

Es scheint, als hätten die deutschen, speziell die Berliner Fans der Rolling Stones vorher geahnt, was allein für ein visuelles Spektakel sie an diesem kühlen, irgendwann aber klar-tiefblauen Freitagabend im Olympiastadion erwartet. Bei jedem Konzert der „No-Filter“-Tour dürfen auch sie ein Wörtchen mitreden und sich zumindest einen Song wünschen. Nachdem auf Facebook von der Band für das erste von zwei Deutschland-Konzerten in diesem Jahr vier Songs zur Abstimmung präsentiert worden waren, fiel die Wahl auf „She’s a rainbow“. Nicht nur dass dieser Song, der 1967 auf „Their Satanic Majesties Request“ die zweite Album-Hälfte eröffnete, einer der ungewöhnlichsten, vielleicht süßlich-melodiösesten Songs der Band ist, auch in seiner wackeligen Psychedelität, nicht nur, dass Jagger hier im Olympiastadion selbst zur Akustik-Gitarre greift – der Song verweist überdies mit seinen Lyrics auf den Mut zur Farbe der Stones speziell an diesem Abend. Leicht abgewandelt könnte man zitieren: They come in colours everywhere, they’re like a rainbow.

Die Farbe Rot dominiert zunächst

Die Farbe Rot dominiert zunächst den Klamotten-Style der Band zu Beginn des tollen Konzerts, dessen Sound zumindest auf der Haupttribüne mehr als zufrieden stellend war: Mick Jagger trägt ein rotes Lederjäckchen, als er die Bühne betritt, auch Charlie Watts hat eine rote Jacke (über einem knallgelben T-Shirt) an, die ganze Show dann über, bei Ron Wood und Keith Richards lugt das Rot als Band, Schal oder Hemd hervor. Keith Richards’ wiederum bevorzugt Grün, Jacke und Turnschuhe harmonieren da schön miteinander, auch mit dem gelb-grün-roten Rasta-Kopftuch. Überhaupt knallen die Farben auf der Leinwand neben und rund um die Bühne, dass es eine Freude und ein fast anachronistisch anmutender popistischer Augenschmaus ist, beginnend mit der schön in gelb eingelegten roten Zunge, dem eingetragenen „Brand“ der Stones, die sich vor den Zugaben schließlich in gleichfalls psychedelisch silberblauschimmernde Streifen auflöst.

Doch ist natürlich niemand nur hier, um in Farbräusche zu geraten, sondern um die Stones zu hören, sie zu sehen in ihrer vermeintlichen Alterslosigkeit – nicht als Karikaturen ihrer einstigen Jugend, sondern mehr als Avatare ihrer selbst. „Ja, um von der nach den Rausschmiss von Brian Jones 1969 (der ein paar Wochen darauf in seinem Pool ertrank) seit Jahrzehnten von Drogen-und Krankheitstoden so glücklich verschonten Band das zu bekommen, was immer noch unter Rock’ n’ Roll firmiert: ihre manchmal doch noch knietief im Blues stehenden Songs, ihre Hits, klar, die Ahnung davon, dass das alles einmal schwitzig, sumpfig und böse war. Ja, dass es tatsächlich mal eine Zeit gab, bevor die Stones eine weltumspannende Marke so wie Coca-Cola, Google oder Apple wurden.

So geht es los mit „Street Fighting Man“, den Jagger dazu nutzt, auf dem ins Publikum ragenden Bühnensteg gleich nach ganz vorn zu rennen, was er später kaum noch tun wird, bei aller zur Schau gestellten Dynamik, und dem unvermeidlichen „It’s only Rock’n’Roll but I like it“, ein Song, der mit seinem Titel inzwischen nicht mal mehr als Ironie durchgehen kann und ein reiner Euphemismus ist. „Nur“ Rock’n’Roll ist das alles eben lange nicht mehr.

Hier geht es mehr ums Spektakel als den Blues

Man fragt sich ja, was das jetzt eigentlich für ein Gesamtkunstwerk ist, was die Rolling Stones Jahr für Jahr auf ihren Touren aufführen, was es überhaupt für eine tiefere Bedeutung hat. Mick Jagger begrüßt sein Publikum auf Deutsch und erinnert an 1965, als die Stones das erstmals in Berlin in der Waldbühne auftraten: „Und 53 Jahre und 50 Konzerte später sind wir wieder hier“. Man muss selbstverständlich genauso sagen: immer noch hier. Nie weg gewesen. Und man weiß auch, dass sie eine Pop-Ewigkeit repräsentieren, also auch in Zukunft immer da sein werden, dass sie sich schon lange von ihrer Vergangenheit gelöst haben, sie überhaupt aller Zeiten und allen popmusikalischen Trends sowieso enthoben sind.

Viele ihrer Fans sind mitgealtert, klar. Trotzdem fällt auf, dass im mit 67.000 Zuschauern gerade mal so ausverkauften Olympiastadion (ein paar Karten an der Abendkasse waren noch zu haben) auch viele Dreißig- und Vierzigjährige sind, dass die Alterskohorte der Band nicht mehr so dominierend ist, die Stones allerdings auch nichts für die ganze Familie sind. Die Jüngeren im Publikum gebrauchen das Werk oder einen Live-Auftritt nicht als Erinnerungsreservoir, – es ist verdächtig genug, immer wieder die Waldbühnen-Zerstörungsgeschichte zu hören. Mit den achtziger Jahren hören die großen Stones-Erzählungen auf. Nein, den Jüngeren geht es mehr ums Spektakel, um eben jene Marke, vielleicht um den Rock’n’Roll-Kanon, um das Bewundern einer aussterbenden Spezies, die ihrerseits das Altern im Rock salonfähig gemacht hat, die als Rollenmodell gilt - die aber auch dem Alter auf ihre Art entwachsen ist.

Die erste Hälfte des knapp über zweistündigen Konzerts ist großartig, weil sie abwechslungsreicher und weniger hittig wirkt, mit eben jenem Fan-Wunschtitel, mit „Paint It Black“, mit dem von Wood und Richards und ihren Gitarren schön zerdehnten Dylan-Cover „Like A Rolling Stone“, mit dem einzigen Stück ihres 2016er- Blues-Coverversionen-Albums „Blue & Lonesome“, nämlich dessen Eröffnungsstück „Just A Fool“, mit dem schmachtenden, live zu Beginn leider chorlosen „You Can´t Always Get What You Want“, mit „Honky Tonk Women“ – und selbst mit den traditionellen, eigentlich aber völlig überflüssigen Keith-Richards-Soloeinlagen.

Aus "Miss You" machen sie ein Epos

Nach diesen und dem Vorstellen der Band, zu der ein toller Bassist, ein Saxofonist, zwei Keyboarder sowie einem Backgroundsänger und einer Backgroundsängerin gehören, beginnt das ultimative Hit-Programm. Das aber wirft einmal mehr die Frage auf, warum die Stones so unbeirrt daran festhalten? Warum sie so wenig Werkschau betreiben und sich nicht ausführlicher mit manchem gerade auch ihrer jüngeren Alben auseinandersetzen, sie zum Beispiel nicht einfach mal eine „Bridges-To-Babylon“-Tour machen oder „A Bigger Bang“ nachspielen? Stattdessen: „Sympathy for the Devil“, für immer und ewig, „Miss You“ und natürlich, als Zugaben, „Gimme Shelter“ und „(I can`t get no) Satisfaction“. Stattdessen die unnötigen, auf Deutsch einstudierten, nicht besonders originellen, speziell auf Berlin bezogenen Ansagen von Mick Jagger; seine Witzchen darüber, ortsübliche Spezialitäten wie „Hackepeter“ und „Berliner Weiße“ genossen zu haben, oder dem über den neuen Flughafen, auf dem die Band gelandet und der so schön leer gewesen sei (den hat er vor vier Jahren in der Waldbühne auch schon gemacht).

Anderseits ist es beeindruckend, wie die Stones aus ihrem so unnachahmlichen Disco-Stück „Miss You“ live ein Epos machen, weit über zehn Minuten lang, wie „Midnight Rambler“ ständig neue Auf und Abs erfährt, wie auch bei „Gimme Shelter“ eine der Sängerinnen noch einmal ihre zwei, drei Minuten Solo ganz vorn im Publikum bekommt und im Hintergrund dazu alte Schwarzweißbilder aus den Protest-Sechzigern laufen. Diese sind hier, in diesem Umfeld, bei dieser Show, ihrer eigentlichen Bedeutung allerdings beraubt, mehr Zierrat als historisches Zitat, sind von den Stones einverleibt worden. Doch, es ist ein Erlebnis diese Band live zu sehen, sie zu hören. Vorhalten aber tut es nicht, zu einer einprägsamen, gern erzählten Geschichte reicht so ein Auftritt nicht mehr. Aber die Stones kommen ja wieder, wieder und wieder.


In einer früheren Version des Textes war der Tod von Brian Jones nicht erwähnt worden. Das ist jetzt geändert.

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