zum Hauptinhalt
Als Mieterin am Chamissoplatz wohnte unsere Autorin für 53,75 D-Mark pro Monat.

© Mike Wolff

Mietpreise in Berlin: Die erste Wohnung für 53,75 DM kalt

Unsere Autorin wohnte 1982 am Chamissoplatz. Als Mieterin hatte sie das große Los gezogen. Erinnerung an eine Zeit, die länger her zu sein scheint, als sie ist.

Im Mai 1982 war ich 19 Jahre alt und unterschrieb meinen ersten Mietvertrag. Meine Freundin Ulla hatte mir erzählt, dass in ihrem Hinterhaus Wohnungen leer stünden, in Kreuzberg, Arndtstraße 20, direkt am Chamissoplatz. Ich suchte mir im Stadtplan den Weg, um pünktlich zur Wohnungsbesichtigung zu erscheinen. Natürlich als einzige, damals drängelte man sich noch nicht im Treppenhaus, um zu Hunderten eine Wohnung anzuschauen.

Ein Zimmer, Küche (mit Kochmaschine), Korridor, 34,66 Quadratmeter im vierten Stock. Perfekt. Natürlich mit Ofenheizung. Natürlich mit Außentoilette auf halber Treppe. Für 53,75 DM Miete monatlich. Natürlich unterschrieb ich, Mietbeginn war am 1. Juli, und handelte – wegen des verwohnten Zustands der Wohnung – noch heraus, den Schlüssel zwei Monate früher zu bekommen, um gründlich renovieren zu können.

Schon bei meinem Einzug stand das Haus zur Hälfte leer. Unten, in den dunklen Wohnungen im Erdgeschoss und im ersten Stock, war niemand mehr, das Quergebäude (wie es im Mietvertrag hieß) stand parallel zum Vorderhaus und hatte zwei Aufgänge. Drei Außenwände ließen meine Wohnung im Winter eisig kalt werden, neben dem Ofen musste ein Radiator ran, der Stromzähler lief auf Touren.

Das Zauberwort: "Sanierungsbetroffen"

Ein Jahr nach dem Einzug erhielt ich einen Brief vom Bezirksamt Kreuzberg. Erster Satz: „Der Eigentümer Ihres Hauses hat einen Antrag auf Abriss mit öffentlichen Mitteln gestellt.“ Um ein Meinungsbild der Mieter zu den Planungen zu erhalten und die „Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Belange der Mieter zu gewährleisten“, würden alle Mieter befragt werden.

Das Wort „Abriss“ schockierte mich. Ich wusste nicht, dass ich mit diesem Brief das große Mieter-Los gezogen hatte: Fortan war ich „sanierungsbetroffen“! Ein Zauberwort damals, bedeutete es, mit Hilfe der Mieterberatung unter Beachtung meiner Wünsche sanierten und bezahlbaren Wohnraum für die nächsten Jahre, besser: Jahrzehnte zu sichern.

Die erste von vielen Mieterversammlungen fand am 11. Januar 1984 statt. Dabei ging es um die Sanierung des Vorderhauses und um den Abriss des Quergebäudes. Im Protokoll vermerkt die Mieterberatung: „Nach Ansicht des Bausenats soll das Hinterhaus aus städtebaulichen Gründen (Schaffung von Grün- und Spielflächen) innerhalb der nächsten 5 Jahre abgerissen werden. Demgegenüber haben sich die Mieter bei einer von SPAS durchgeführten Befragung eindeutig für den Erhalt des Gebäudes ausgesprochen (genügend Freiflächen im Blockinnenbereich, Erhalt billigen Wohnraums).“ Dazu muss man wissen: Zwischen Vorder- und Hinterhaus war ein echter Zille-Hof mit nicht mehr als fünf Metern Abstand.

Ein Umzug mit Wäschekorb und Leine

Als ich zwei Jahre später ins Vorderhaus umzog (Zwischenumsetzung) machte ich den Umzug der Kleinteile vom vierten Stock (hinten) in den vierten Stock (vorne) mit Hilfe eines Wäschekorbes, den meine Freundin und künftige Mitbewohnerin Ulla und ich aus unseren Fenstern an einer Leine zwischen den Häusern hin- und herzogen.

Fenster zum Hof. Nur wenige Meter trennten seinerzeit die Hinterhauswohnung in der Arndtstraße vom Vorderhaus.
Fenster zum Hof. Nur wenige Meter trennten seinerzeit die Hinterhauswohnung in der Arndtstraße vom Vorderhaus.

© privat

Dass ich für die „unmittelbaren Umzugskosten“ eine Pauschale in Höhe von 1200 DM erhielt, gehörte zu den aus heutiger Sicht unglaublichen Geschichten jener Zeit. Wie die pauschale Erstattung der „mittelbaren Umzugskosten“, in Summe 750 DM. Auf meine Frage, wofür die „mittelbaren Umzugskosten“ gezahlt werden, hieß es, zum Beispiel für neue Vorhänge – weil die Deckenhöhe im Vorderhaus eine andere sei als hinten. Dabei hatte ich nie Vorhänge besessen. Oder die Entschädigung für das sanierte Außenklo. Beim Abriss erhielt ich „für von Ihnen in der Wohnung getätigte Investitionen“ 800 DM.

Eine Freundin bewachte den Weg durch das leere Treppenhaus

Meine Kündigung – formal nötig, obwohl das Haus abgerissen wurde – datiert auf den 25. September 1986. Die Miete war in den gut vier Jahren, die ich in meinem Hinterhaus verbrachte, auf 60, 72 DM gestiegen. Seit Monaten – seit Beginn des Jahres 1986 – war ich die letzte Mieterin im kompletten Quergebäude. Musste ich nachts alleine durch das Treppenhaus, in dem das Licht oft nicht funktionierte, in den vierten Stock, bewachte Freundin Ulla aus dem Vorderhaus meinen Weg. Oben angekommen knipste ich zum Zeichen des sicheren Aufstiegs das Küchenlicht an.

Ein einziges Mal kehrte ich auf der Hälfte der Strecke wieder um, weil lautes Schnarchen von oben zu hören war. Mit Ulla an meiner Seite und einem Hammer in der Hand entdeckte ich beim zweiten Aufstieg oben auf meinem Treppenabsatz einen italienischen Freund, der dort nach langer ermüdender Anreise ein Schläfchen machte.

Die legendäre Abschiedsparty

Zwischenumsetzung also. Denn was ich mir eigentlich wünschte – und die Wünsche der Mieter sollten ja erfüllt werden – war eine Wohnung im Dach. Die stand aber im Herbst 1986 nicht zur Verfügung. Also machte ich Zwischenstation im Vorderhaus der Arndtstraße 20. Mit Blick auf den Platz. Und wo kann man besser feiern, als in einer Wohnung, die abgerissen wird? Die Abschiedsparty war legendär, wir durchbrachen die Wand zur Nachbarwohnung und rund 100 Leute tanzten im Konfettiregen die Nacht durch. Danach schloss ich ab und ging.

Zu den Originaldokumenten in meinem Leitzordner „Wohnung Arndtstraße 20“ gehört auch das Schreiben der Gewobag vom 12. November 1986. Unter dem Betreff „Schlüsselrückgabe – ehemalige Wohnung Berlin 61, Arndtstraße 20,. Aufgang D – 4.OG.-rechts“ werde ich dringlich aufgefordert, meinen Wohnungsschlüssel abzugeben. Da sah das Hinterhaus schon traurig aus: Das Dach fehlte, im Hof lagen Bretter und die Reste der Zurückgelassenen Hausstände aus den Wohnungen. Da der Hof zu eng war, um das Haus mit schwerem Gerät abzureißen, musste es in Handarbeit abgetragen werden. Stockwerk für Stockwerk. In regelmäßigen Abständen machte ich von vorne Fotos – irgendwann war da oben, wo ich vier Jahre gelebt hatte, nur noch Himmel. Heute bietet der entkernte Hof Spielflächen und viel Grün.

Zwei Frauen und zwei Katzen in einer WG

Vorne wohnten wir ein gutes Jahr in unserer WG: zwei Frauen und zwei Katzen. Weil sich das mit der Dachgeschosswohnung nicht mehr realisieren ließ, wurde für mich von der Spas eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Arndtstraße 11 gefunden. 103 Quadratmeter, voll saniert, wieder im vierten Stock. Natürlich wurden die Umzugskosten erneut erstattet. Die Grundmiete lag bei 377,16 DM, warm waren 557,35 DM fällig. Jährlich jeweils zum 1. Dezember erhöhte sich die Miete um 20,60 DM. Das war festgelegt. „Ab 1.12.1996 (Ablauf der öffentlichen Förderung) erfolgt Neuberechnung der Miete“, stand im Mietvertrag.

Ich wohnte insgesamt 16 Jahre in der Arndtstraße, fünf in der 20, elf in der 11. Zu dritt, das erste Kind wurde im Februar 1998 geboren, wechselten wir den Stadtteil und zogen über Weißensee (Zwischenumsetzung weil die gemietete Wohnung im Prenzlauer Berg nicht fertig geworden war) an den Kollwitzplatz. Damals, im Frühling 1999, lebten dort noch viele Alteingesessene, junge und alte. Vor allem: Mieter. Heute gehört unser Haus zu den letzten am Platz ohne Eigentumswohnungen.

Die Langzeitrecherche „Wem gehört Berlin“ ist eine Kooperation des Tagesspiegels mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv. Auf unserer Plattform wem-gehoert-berlin.de können Sie uns mitteilen, wer Eigentümer Ihrer Wohnung ist, und welche Erfahrungen Sie mit Ihrem Vermieter gesammelt haben. Mithilfe der Daten suchen wir nach unverantwortlichen Geschäftspraktiken und machen den Immobilienmarkt transparenter. Eingesandte Geschichten werden nur mit Ihrer Einwilligung veröffentlicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false